Waren in den ersten Wochen der Corona-Krise nahezu alle großen Medien in Deutschland von einer bemerkenswerten Einhelligkeit in der Berichterstattung über die Maßnahmen der Regierung geprägt, mehren sich jetzt doch die kritischen Stimmen auch dort. So widmete z. B. der SPIEGEL die Titelgeschichte seiner Ausgabe vom 20. Juni der teilweise chaotischen Situation an den Schulen, die Lehrer*innen, Eltern und Schüler*innen gleichermaßen überfordert.

Aber nicht nur der Lockdown an den Schulen steht inzwischen in der Kritik, sondern der Lockdown generell. So sagte z. B. der Virologe Prof. Dr. Hendrik Streeck in einem Interview mit der „Neuen Osnabrücker Zeitung“ (kostenpflichtig), um „die Wirksamkeit der einzelnen Maßnahmen getrennt beurteilen zu können“, sei man „zu schnell in einen Lockdown gegangen“. Man habe nicht mehr beurteilen können, ob die bereits veranlassten Einschränkungen ausgereicht hätten, um die Ausbreitung des Virus einzudämmen. Die vielgerühmte App komme, so Streeck, „ein bisschen spät“, und man wisse nicht, „ob sie überhaupt etwas dazu beitragen“ könne, in Deutschland „eine Pandemie zu kontrollieren“. Auch die Maskenpflicht sieht Streeck kritisch, vor allem wegen der Anwendungsfehler: „Am Anfang der Pandemie wurde ja dezidiert gewarnt vor Masken. Die Gründe dafür gelten immer noch, auch wenn sie merkwürdigerweise keine Rolle mehr zu spielen scheinen. Die Leute knüllen die Masken in die Hosentasche, fassen sie ständig an und schnallen sie sich zwei Wochen lang immer wieder vor den Mund, wahrscheinlich ungewaschen. Das ist ein wunderbarer Nährboden für Bakterien und Pilze.“

Und in einem am 29. Juni erschienenen Interview mit dem Berliner Tagesspiegel zog Streeck, selbst ein Spezialist für die Forschung zu HIV, interessante Vergleiche zum Erreger der Immunschwäche AIDS: Es gebe „viele Parallelen zwischen der gerade beginnenden Corona-Pandemie und der seit 40 Jahren laufenden HIV-Pandemie“. Durch die COVID-19-Pandemie seien „Lieferketten für lebensnotwendige Medikamente vor allem in arme Länder abgebrochen. Was gerade passiert ist erschreckend. Die WHO geht von 500.000 zusätzlichen AIDS-Toten dieses Jahr aus, als direkte Folge von COVID-19.“ Viele AIDS-Forscher seien inzwischen in die Forschung zu SARS-CoV-2 übergegangen.

Skeptisch äußerte sich Streeck auch zu der Frage nach einem Impfstoff gegen COVID-19: „Wir haben bis heute auch keinen Impfstoff gegen irgendeinen der großen infektiologischen Killer. Damit meine ich neben HIV Dengue, Malaria, Tuberkulose und Hepatitis C. Für HIV wurden über 400 Impfstoffkonzepte entwickelt, sehr wenige gingen in die klinische Testung, und keiner hat bislang funkioniert. Auch gegen die anderen sechs Corona-Viren wurde bislang erfolglos nach Impfstoffen geforscht. Generell scheint es schwieriger zu sein, einen Impfstoff gegen ein RNA-Virus, zu denen ja SARS-CoV-2 gehört, zu finden. Hier gibt es bisher nur den Grippe-Impfstoff, und auch der muss jedes Jahr erneuert werden. Je nach Jahr und Influenzastamm liegt die Effektivität manchmal nur bei 40 Prozent.“

Inzwischen melden sich auch Psycholog*innen und Psychotherapeut*innen zu Wort und weisen darauf hin, dass Quarantäne, Isolation und Kontaktsperren die seelische Gesundheit massiv beeinträchtigen können. Und auch, dass sozial Benachteiligte ein höheres Corona-Infektionsrisiko haben als andere, wird immer deutlicher, wie ein Bericht des rbb zeigt.

Spürbar wird aber auch eine zunehmende Spaltung der Gesellschaft: in diejenigen, die für die staatlich veranlassten Maßnahmen einstehen, und andere, die eben diese zunehmend anzweifeln, deren Kritik und deren Fragen aber bisher nur selten von den offiziellen Medien aufgegriffen, geschweige denn beantwortet werden. Dabei scheinen sich die Seiten immer stärker zu polarisieren. Freundschaften zerbrechen, in Foren spitzen sich die Meinungen zu, und eine Flut von Studien muss dafür herhalten, die eine oder eben die andere Ansicht zu untermauern. Was für ein Riss durch unser Land mittlerweile geht, zeigt eine Dokumentation der ARD über den berühmten Satz von Angela Merkel in der Flüchtlingskrise „Wir schaffen das!“ und seine Folgen, die bis weit in die Corona-Krise hineinreichen.

Interessant dagegen die Implikationen, die die Medizin-Ethikerin und Soziologin Prof. Dr. Tanja Krones zum Thema „Leben und Sterben mit COVID-19: Wie schaffen wir das?“ im Gespräch mit der Neuen Zürcher Zeitung entwickelt. Darin kritisiert sie u. a., dass die Angehörigen und die Bevölkerung bei den Entscheidungen zur Corona-Krise generell zu wenig einbezogen wurden und werden.

Da erscheint es fast schon wohltuend, wenn sich gerade diejenigen, die von der Krise am meisten betroffen sein dürften, die Generation der 20- bis 35-Jährigen, so ihre Gedanken machen. Einer von ihnen, ein Student der Psychologie aus Ulm, hat all das, was er an Fakten und Ungereimtheiten gefunden hat, in einem einstündigen Video zusammengetragen. Eine scharfkantige und klare Perspektive wird hier eröffnet. Vieles ist nicht neu und manches kann man anders sehen, aber dennoch ist dieser Beitrag bemerkenswert, weil er von einem Kreis junger Leute zusammengetragen wurde, die sich ihre eigenen Gedanken gemacht und ihre eigene Meinung gebildet haben.

Gleichzeitig macht sich jedoch auch eine Erschöpfung breit, ein Überdruss, ständig an dieses Virus und seine möglichen Gefahren erinnert zu werden. Dies umso mehr, als die Ansteckungsraten vielerorts inzwischen so niedrig sind, dass man sich fragt, wo sich die Mehrheit der Bevölkerung überhaupt noch anstecken können soll (von der fleischverarbeitenden Industrie mit ihren Massenschlachthäusern mal abgesehen, aber die gehören ohnehin schleunigst abgeschafft). Das bestätigt auch der Mikrobiologe Johannes Knobloch, Leiter der Krankenhaushygiene am Universitätskrankenhaus Hamburg-Eppendorf: „Die Wahrscheinlichkeit, dass eine Person, auf die ich treffe, ansteckend ist, liegt statistisch im Bereich des Lottos mit vier Richtigen und Zusatzzahl“, sagte der Wissenschaftler dem „Hamburger Abendblatt“. Schon seit Mitte Mai werden in der Hansestadt mit ihren fast zwei Millionen Einwohnern nur noch Neuinfektionen im niedrigen einstelligen Bereich pro Tag festgestellt.

Trotzdem wird mit Nachdruck daran gearbeitet, den Pegel der Angst innerhalb der Bevölkerung aufrechtzuerhalten. Karl Lauterbach, „Gesundheitsexperte“ der SPD und Stammgast in den Talkshows des deutschen Fernsehens, postete jüngst auf Twitter, dass COVID-19 „bei vielen Patienten dem Gehirn schade und das Risiko einer Demenzerkrankung deutlich erhöhen“ könne. Wesentlich nüchterner dagegen die Information der Uni Gießen, dass ein bundesweites Register („CNS-COVID-19“) die Erkenntnisse zusammentragen soll, was bei einer Infektion mit SARS-CoV-2 im zentralen und peripheren Nervensystem passiert. Belastbare Belege für eine Invasion des Virus in das Nervensystem, fehlen bisher, so die Wissenschaftler.

Auch das gerade mit dem Grimme Online Award geadelte „Corona Update“ des NDR mit Christian Drosten bezieht eine gegenteilige Position (Titel der 50. Ausgabe vom 23. Juni: „Das Virus kommt wieder“). Drosten verordnet da „Regeln für den Sommer“ und erklärt die Schuldiskussion als „noch nicht zu Ende“. Der Ausnahmezustand soll offenbar zur Regel werden.

Roland Rottenfußer hat dazu im Online-Magazin Rubikon einen erfrischend unerschrockenen, nachdenklichen Beitrag verfasst. In eben diesem Magazin findet sich auch ein aufschlussreicher Artikel zur Rolle der Medien in dieser Krise: „Die Propaganda-Pandemie“. Eine Debatte zur Medien-Berichterstattung über die Corona-Krise hat auch der Evangelische Pressedienst angestoßen. Die Liste soll in den kommenden Wochen kontinuierlich erweitert werden.

Ein Blick in die Welt ist dann aber doch ermutigend: Die Shanti Leprahilfe Dortmund z. B. berichtet über ihre Station in Kathmandu in Nepal. Dort haben die Lockdown-Maßnahmen teilweise katastrophale Folgen gerade für die Ärmsten und den Armen. Und so wurden die bei Shanti betreuten Menschen mit Behinderungen und an Lepra Erkrankten von Hilfe Empfangenden zu Helfenden, wie es der Rundbrief der Shanti-Gründerin Marianne Großpietsch anschaulich beschreibt.

Mutmachend auch das Blog Salutogenese-Corona, das einen Perspektivwechsel in der Corona-Krise einfordert. Darin geht es vor allem um die Eigenaktivität der Bürger*innen: wahrnehmen, mitgestalten, Freiheit aushalten, kooperieren und Visionen entwickeln. Das passt perfekt zum Corona-Manifest von GESUNDHEIT AKTIV.

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