Sie haben schon mit zwei ersten Thesenpapieren Aufsehen erregt, jetzt legen sie mit ihrem Thesenpapier 3.0 noch eine Schippe drauf: Prof. Dr. med. Matthias Schrappe, ehemaliger stellvertretender Vorsitzender des Sachverständigenrates Gesundheit; Hedwig François-Kettner, Pflegemanagerin und Beraterin und ehemalige Vorsitzende des Aktionsbündnisses Patientensicherheit, Berlin; Dr. med. Matthias Gruhl, Arzt für Öffentliches Gesundheitswesen, Bremen; Prof. Dr. jur. Dieter Hart, Institut für Informations-, Gesundheits- und Medizinrecht, Uni Bremen; Franz Knieps, Jurist und Vorstand eines Krankenkassenverbandes, Berlin; Prof. Dr. phil. Holger Pfaff, Uni Köln, Zentrum für Versorgungsforschung, ehemaliger Vorsitzender des Expertenbeirats des Innovationsfonds; Prof. Dr. med. Klaus Püschel, Uni-Klinikum Hamburg-Eppendorf, Leiter des Instituts für Rechtsmedizin; Prof. Dr. rer. nat. Gerd Glaeske, Uni Bremen, ehem. Mitglied im Sachverständigenrat Gesundheit. Am 28. Juni veröffentlichen sie eine „erste Bilanz der Pandemie durch SARS-CoV-2/Covid-19“.

Drei Aspekte stehen dabei im Mittelpunkt:

  1. 1. Strategie: Stabile Kontrolle des Infektionsgeschehens
  2. 2. Prävention: Risikosituationen erkennen
  3. 3. Bürgerrechte: Rückkehr zur Normalität

Mit am spannendsten in diesem Thesenpapier sind die Vorschläge zur Prävention. Dazu heißt es: „Wirksame Präventionsmaßnahmen müssen auf der Ebene der Gesamtgesellschaft und auf der Ebene der Organisationen den gesellschaftlichen und sozialen Kontext in den Mittelpunkt stellen. Um hierfür einen ‚Kompass‘ zu entwickeln, wird in Anlehnung an die Balanced Score Card eine vierdimensionale Matrix vorgeschlagen, die die Dimensionen Epidemiologie, Ökologie, Wissen/Ausbildung sowie Grundrechte vorsieht. (...) Die soziale Situation von Kindern und Frauen unter den Bedingungen der Krise und des Lockdowns macht deutlich, wie entscheidend es ist, nicht nur medizinische bzw. epidemiologische Kriterien zu beobachten (z. B. Zahl von Neuinfektionen), sondern auch andere Aspekte wie die soziale Situation zur Steuerung mit heranzuziehen.“

Zur Situation in Alten- und Pflegeheimen heißt es: „Alle Formen von generellen Kontakt- oder Besuchssperren erscheinen insofern problematisch, weil dort, wo spezifische Präventionsmaßnahmen möglich und geboten sind, ausnahmslose generelle Verbote nicht mehr angemessen sein werden. Unter den veränderten Bedingungen von Erkenntnis, Erfahrung und spezifischen Präventionsstrategien werden generelle Isolationen/Sperren in stationären Gesundheits- und Pflegeeinrichtungen als gravierende Grundrechtseinschränkungen grundsätzlich unverhältnismäßig. (...) Besonders bei Langzeitpflege, Behinderungen oder im Prozess des Sterbens müssen alle erdenkbaren Anstrengungen unternommen werden, um Situationen und Maßnahmen zu verhindern, die die Würde des Menschen einschränken.“

Bemerkenswert auch die Äußerungen zum sozialen und gesellschaftspolitischen Bezug: „Die entstehende Situation bietet einerseits eine große Dynamik (z. B. werden Fragen gestellt, die vorher tabu waren), andererseits kommt es zu einer massiven Diskursverengung. So herrschen in der öffentlichen Diskussion bestimmte Denk- und Interpretationsmuster in einem Maße vor, dass anderslautenden Meinungen kein Raum gegeben wird (und im Netz sog. Verschwörungstheoretische Formeln großen Zuwachs erfahren). Die Kompetenz einer freiheitlichen Gesellschaft, gerade aus der Pluralität der Kenntnisse und Meinungen ihre besondere Problemlösungskompetenz abzuleiten, wird außer Kraft gesetzt. (...) Die Lösung von paternalistischen Konzepten im Regierungshandeln ist eine der wichtigsten Voraussetzungen, ja geradezu das Vorbild für das Gelingen dieses Normalisierungsprozesses.“

Auch die Corona-Tracing-App sehen die Autor*innen kritisch: Sie „wirft beunruhigende Fragen auf: Anonymität, Standortbestimmung, Freiwilligkeit, Verhaltensmodifikation, Wirksamkeit und Effizienz – zu allen diesen Aspekten (und weiteren) sind erhebliche Zweifel angebracht.“

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