Es war absehbar, dass die Neuerscheinungen in den Sommer- und Herbstprogramme der Verlage dominiert werden von Büchern zur Corona-Krise. Hier sind die aktuell wichtigsten:

Dramatisch nicht nur im Untertitel
„Geschichte eines angekündigten Sterbens“ haben Cordt Schnibben, langjähriger SPIEGEL-Redakteur, und David Schraven, Mitgründer des Journalist*innen-Netzwerks Correctiv, ihr Buch untertitelt. In ihrem Vorwort schildern sie, wie einer ihrer Kollegen, der eigentlich mit an diesem Buch hätte schreiben sollen, selbst an COVID-19 erkrankte und noch nicht vollständig genesen ist. Schon das liest sich ungeheuer dramatisch, der Rest nicht minder. Die Autor*innen – das Buch ist das Gemeinschaftswerk von insgesamt 18 international tätigen Journalist*innen – zeichnen die Entwicklung der Corona-Krise von Januar bis Mai 2020 nach und teilen die Zeit in eine chinesische (Januar/Februar), italienische (Februar/März), amerikanische (März/April) und eine brasilianische Phase (April/Mai). Durch die Fülle der Informationen, die sich aus Spotlights aus aller Welt zusammensetzen, und vor allem durch die sprunghafte Darstellung liest sich das mit einer gewissen Atemlosigkeit, die ja auch typisch ist für COVID-19. Allerdings finden sich in diesem Buch kaum kritische Stimmen, viel eher schürt es noch die Angst vor dem „Killer-Virus“. Als Dokumentation ist dieses Buch interessant, Antworten auf die drängenden Fragen gibt es leider nicht.

Cordt Schnibben, David Schraven (Hrsg): Corona. Geschichte eines angekündigten Sterbens, dtv, 368 Seiten, 18,90 Euro

 

Gegen den Strom
Das Kontrastprogramm dazu ist das Buch von Prof. Dr. rer. nat. Karina Reiss und Univ.-Prof. Dr. med. Sucharit Bhakdi. „Was mich am meisten frappiert“, so Bhakdi in einem Interview, „dass die Bevölkerung in diesem Land, wo Bildung eigentlich höhergestellt ist als in Thailand (wo Bhakdi herkommt, Anm. d. Red.) und wo Leute mehr verstehen, dass sie alles glauben, was ihnen gesagt wird. Es ist ein Volk, das glaubt einfach alles, ohne zu fragen, zu hinterfragen.“ Das habe ihn entsetzt und erschrocken. Als Facharzt für Mikrobiologie und Infektionsepidemiologie verstehe er etwas von Epidemien, auch wenn er gerne als „unverantwortlich“ diffamiert werde und als Pensionär angeblich nicht Schritt halten könne mit den Fortschritten der Medizin. Für ihn sei „dieses Land völlig anders geworden“, deshalb habe er dieses Buch schreiben müssen: „Es war ein Bedürfnis, ich konnte nicht mehr schlafen.“
Sucharit Bhakdi ist von Anfang an gegen den Strom geschwommen. Mit diesem Buch tut er das ein weiteres Mal.

Karina Reiß, Sucharit Bhakdi: Corona. Fehlalarm?, Goldegg Verlag, 118 Seiten, 15 Euro

 

Die Krise und ihre Folgen
Ist das, was wir mit der Corona-Krise erleben, künftig der neue Normalzustand? Eine Frage, die einen Wissenschaftler wie Manfred Spitzer auf den Plan rufen muss. Schon vor Jahren hat er mit seinen flammenden Plädoyers gegen die Gefahren der Digitalisierung auf sich aufmerksam gemacht. Dass er jetzt nicht davor zurückschreckt, den Finger in die Wunden zu legen, die die Corona-Krise geschlagen hat, kann deshalb nicht verwundern. Sein großes Verdienst ist es, dass er auch auf die Möglichkeiten und Chancen aufmerksam macht, die diese Entwicklung zwangsläufig mit sich bringt. Und hier entwirft er zwei Szenarien, die sich polar gegenüberstehen: Auf der einen Seite den Überwachungskapitalismus und die Herrschaft der Digitalkonzerne, und auf der anderen Seite Solidarität und Vernunft, Nachhaltigkeit und Demokratie. Sein Fazit: „Virusausbrüche sind unvermeidlich. Pandemien hingegen lassen sich vermeiden. Aber es darf dabei nicht geschehen, dass wir wegen der Pandemie unsere Werte über Bord werfen.“ Man muss nicht alles gut und stimmig finden, was Spitzer hier ausbreitet, aber lesenswert ist es allemal.

Manfred Spitzer: Pandemie. Was die Krise mit uns macht und was wir aus ihr machen. MVG Verlag, 240 Seiten, 9,99 Euro

 

In die Zukunft geschaut
Der Essay des Zukunftsforschers Matthias Horx „Die Welt nach Corona“ stieß schon vor Wochen auf ein zigtausendfaches Interesse. Kein Wunder also, dass daraus flugs ein Buch wurde. Horx schaut darin aus der Zukunft zurück und erfindet für dieses Kontrastprogramm einer Prognose die Wortschöpfung „Re-Gnose“. Worüber also werden wir uns rückblickend wundern? Über vieles. Und damit hat er vermutlich nicht ganz unrecht. Wir werden uns wundern, wie gut wir ohne all die Hetzerei und das Durch-die-Welt-Düsen auskommen. Wie viele neue Begegnungen, wie viel Humor und Mitmenschlichkeit entstehen konnten. Wie viel Mut freigesetzt werden kann, wenn die Angst erst einmal überwunden ist. Das Virus als Evolutionsbeschleuniger also. Sein Fazit: „Eine der stärksten Visionen, die das Corona-Virus uns hinterlässt, sind die musizierenden Italiener auf den Balkonen. Die zweite Vision senden uns die Satellitenbilder, die plötzlich die Industriegebiete Chinas und Italiens frei von Smog zeigen. 2020 wird der CO2-Ausstoß der Menschheit zum ersten Mal fallen. Diese Tatsache wird etwas mit uns machen. Wenn das Virus so etwas kann – können wir das womöglich auch? Vielleicht war das Virus nur ein Sendbote aus der Zukunft. Seine drastische Botschaft lautet: Die menschliche Zivilisation ist zu dicht, zu schnell, zu überhitzt geworden. Sie rast zu sehr in eine bestimmte Richtung, in der es keine Zukunft gibt. Aber sie kann sich neu erfinden. System reset. Cool down. Musik auf den Balkonen! So geht Zukunft.“ Ein Mutmach-Buch, auch wenn es ein bisschen sehr mit der heißen Nadel gestrickt ist.

Matthias Horx: Die Zukunft nach Corona. Wie eine Krise die Gesellschaft, unser Denken und unser Handeln verändert. Econ Verlag, 144 Seiten, 15 Euro

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