Weltweit steigt die Rate der Kaiserschnitte weiterhin an, auch Deutschland macht da keine Ausnahme, im Gegenteil: von 15 Prozent 1991 ist sie auf über 30 Prozent im Jahr 2018 angestiegen – mit enormen regionalen Unterschieden zwischen den einzelnen Geburtskliniken. Es gibt Krankenhäuser mit einer Sectio-Rate von 10,4 Prozent, aber auch welche mit kaum vorstellbaren 66,7 Prozent. Bei jeder zehnten Klinik ist die Quote so hoch, dass sie eigentlich die Landesstelle für Qualitätssicherung auf den Plan rufen müsste ...

Möglicherweise liegt das auch daran, dass es bisher keine medizinische Leitlinie dafür gab. Nun liegt sie als 130 Seiten umfassende „S3-Leitlinie“ vor, das heißt, mit der höchsten wissenschaftlichen Qualität. 18 medizinische Fachgesellschaften, Verbände und Institutionen aus Deutschland, Österreich und der Schweiz haben daran mitgearbeitet. Die Empfehlung ist eindeutig: Ein Kaiserschnitt sollte nur so oft wie unbedingt nötig und so selten wie möglich erfolgen. Bei einer unkomplizierten Schwangerschaft ist eine vaginale Geburt eindeutig vorzuziehen. Ein Kaiserschnitt sollte nur vorgenommen werden, wenn es dafür eindeutige medizinische Gründe gibt, z. B. besondere Gefahren für Leib und Leben von Mutter und/oder Kind (z. B. quer liegendes Kind, Gebärmutter droht zu reißen, Mutterkuchen verschließt den Geburtskanal). Derzeit ist das in Deutschland nur bei jeder 10. Schnittentbindung der Fall. Die Empfehlung der Leitlinie erscheint daher umso bedeutsamer. Auch wenn eine Frau bereits per Kaiserschnitt entbunden hat, steht einer vaginalen Geburt meist nichts im Wege, sie wird in der Leitlinie als sicher eingestuft.

Eine Sectio, so der medizinische Begriff, ist keineswegs so harmlos, wie sie gerne dargestellt wird. Der Eingriff ist häufig traumatisierend für die Frau, und auch für das Kind kann er langfristige Folgen haben. So wird z. B. beim natürlichen Weg durch den Geburtskanal mütterliche Bakterienflora auf das Kind übertragen – sie bildet die Grundlage für die erste Besiedlung des Darmes. Dieses Mikrobiom ist bei Kaiserschnitt-Kindern auch noch viele Jahre nach der Geburt nicht so reichhaltig wie das von Kindern nach einer normalen Geburt und mit einem höheren Risiko für Fettleibigkeit und Allergien verbunden. Auch ist die Stillbeziehung nach einem Kaiserschnitt häufig gestört.

Fazit der Leitlinie: Es dürfe als gesichert gelten, dass eine Sectio-Rate über 15 Prozent keinen günstigen Verlauf auf die Rate der mütterlichen und kindlichen Krankheitsfälle und die Rate der Sterblichkeit hat. Ein Kaiserschnitt sei keineswegs schonender für Mutter und Kind und müsse deshalb wirklich gut begründet sein.

Zumindest in Deutschland ist ein Kaiserschnitt für die Kliniken allerdings deutlich lukrativer als eine normale Geburt, die erheblich personalaufwändiger ist und über viele Stunden hinweg betreut werden muss. Eine Sectio dagegen ist innerhalb von 15 bis 30 Minuten erledigt und bringt der Klinik erheblich mehr Geld ein. Solange die Anreize so falsch gesetzt sind, wird man vermutlich noch lange darauf warten müssen, bis die Sectio-Rate in Deutschland tatsächlich zurückgeht.

Anthroposophische Kliniken sind in dieser Hinsicht vorbildlich. Eine der bundesweit niedrigsten Kaiserschnittraten mit ca. 14 Prozent hat die Filderklinik in Stuttgart. Dort fördert Dr. Hauke Schütt, Leiter der Abteilung für Frauenheilkunde und Geburtshilfe, schon seit zwölf Jahren die natürliche Geburt. In einem Interview erklärt er, was dafür notwendig ist. Auch wenn dieses Gespräch schon drei Jahre alt ist, hat es nichts an Aktualität verloren.

Quellen:
sueddeutsche.de, 12. Juni 2020
idw – Informationsdienst Wissenschaft, 12. Juni 2020
ZEIT online, 12. Juni 2020
aerzteblatt.de, 12. Juni 2020

zurück zur Übersicht