Sie ist inzwischen allgegenwärtig und durchdringt nach und nach sämtliche Lebensbereiche: die Digitalisierung. Auch vor der Pflege macht sie nicht halt – und möglicherweise kann das durchaus eine Hilfe sein. Zum Beispiel, wenn es darum geht, Pflegende von einer umständlichen und zeitaufwändigen Dokumentation sowie anderen bürokratischen Arbeiten zu entlasten. Aber ist das auch tatsächlich so?

Dieser Frage ging eine Projektgruppe der Hochschule Rhein-Waal nach. In Zusammenarbeit mit der Deutschen Seniorenliga befragte sie 674 Beschäftigte im ambulanten Pflegedienst. Das Ergebnis: Ob Digitalisierung in der Pflege tatsächlich eine Erleichterung darstellt, ist strittig. Ausgewertet wurden 548 Fragebögen. Jede*r Zweite sagt, die Digitalisierung mache die administrative Arbeit nicht einfacher. Wohl aber stimmen über 73 Prozent der Befragten der Aussage zu, dass digitale Technologien direkt am Patienten (z.B. körperliche Entlastung durch intelligente Robotik) die Qualität der Betreuung von Patient*innen  verbessert. Fast drei Viertel der Pflegenden dokumentiert die Arbeit inzwischen digital, was – so geht es aus den Fragebögen hervor – die Administration erleichtert, die Kommunikation verbessert und die Leistungskontrolle vereinfacht.

Grundsätzlich habe die Digitalisierung also durchaus das Potential, Pflegende zu entlasten, so das Resumée der Forscher*innen. Dennoch werde die Digitalisierung nur bedingt als Entlastung wahrgenommen: „Da besteht noch viel Potential für Innovation zum Nutzen aller Beteiligten.“

GESUNDHEIT AKTIV meint
Wenn Digitalisierung dazu beiträgt, komplexe Vorgänge zu reduzieren und die Arbeit der Pflegenden zu erleichtern, ist das sicherlich hilfreich. Aber gerade das scheint das Problem zu sein. Denn immer noch ist in Deutschland die Dokumentation weitgehend an den abrechenbaren Leistungen orientiert, sprich an ihrer ökonomischen Verwertung. Sie dient weniger dazu, Prozesse zu unterstützen, auch wenn in den letzten Jahren in vielen Bereichen nachgebessert wurde.

Zugrunde liegt noch ein weiterer Umstand: Pflege wird in Einzelleistungen aufgegliedert, sie ist auf diese Weise dem deutschen Leistungsrecht angepasst. Dieses orientiert sich aber nicht primär aus einem pflegerischen Prozessverständnis heraus, nach dem ganzheitlich und individuell, sprich qualitativ und aus einer konkreten Beziehung heraus gearbeitet wird. Pflege gewinnt ihren Sinn aber erst aus dieser Perspektive. Viele Pflegende fühlen sich nicht verstanden, wenn man ihnen die eigentlich notwendige Zeit für die Patienten wegnimmt und sie dann digital in Schemata hineinzwingt, die mit ihrer Arbeit im Kern nichts zu tun haben. Dann muss man sich nicht wundern, dass der Beruf immer unattraktiver wird.

Quelle:
Hochschule Rhein-Waal, Stabstelle Strategische Kommunikation und Marketing, idw, 8. Juni 2020

Lesetipp:
medizin individuell, Thema: Die Zukunft der Pflege, Ausgabe 71

zurück zur Übersicht