Wie kam es dazu, dass sich drei große Bürger- und Patientenverbände jetzt mit der Kampagne weil’s hilft! Naturmedizin und Schulmedizin gemeinsam für Integrative Medizin einsetzen?  Ein Gespräch mit Stefan Schmidt-Troschke, der mit GESUNDHEIT AKTIV e. V. die Bewegung initiiert hat. 

Was war der Ausgangspunkt für die Kampagne?

Stefan Schmidt-Troschke: Im Grunde muss ich da zurückkommen auf einen Perspektivwechsel, den ich im Laufe meines Lebens selbst vollzogen habe. Mein beruflicher Werdegang reichte vom Krankenpflegepraktikanten über das Medizinstudium und die Tätigkeiten als Assistenzarzt, Leitender Arzt bis zum Leiter eines Krankenhauses. Aber erst als ich 2013 die Geschäftsführung von GESUNDHEIT AKTIV übernommen habe, wurde mir klar, dass es eines ganz neuen Blicks auf das Gesundheitswesen bedarf.

Was meinen Sie damit konkret?

Stefan Schmidt-Troschke: Es macht Sinn, sich ein Stückweit außerhalb des Systems zu stellen, um die Mängel zu erkennen. Wir unterstützen heute ja das Kranksein durch die Art, wie wir Medizin betreiben. Wir haben im Grunde kein Gesundheitswesen, sondern ein Krankheitsunwesen.

Und was ist Ihnen bei dem Perspektivwechsel aufgefallen?

Stefan Schmidt-Troschke: Durch die vielen Gespräche mit unseren Mitgliedern und deren Briefe ist mir deutlich geworden, dass die Ebene der persönlichen Krankheits-, Leidens- und Genesungserfahrung der Menschen völlig ausgeblendet bzw. nicht ernstgenommen wird. Sie hören immer nur von außen, was ihnen angeblich hilft und was nicht. Das ist aber oft gar nicht ihre Lebens- und Erfahrungsrealität. Viele Menschen wollen nicht von außen manipuliert werden. Sie wollen verstehen, was sie – vor allem bei einer chronischen Krankheit – selbst tun können, sie wollen die Krankheit im Rahmen ihrer Biographie verstehen, sie sinnvoll in ihr Leben integrieren.

Welche Konsequenzen haben Sie daraus gezogen?

Stefan Schmidt-Troschke: Wir haben erkannt, dass vor allem die Komplementärmedizin diesem Bedürfnis Rechnung trägt. Menschen, die zusätzlich zu den konventionellen Methoden auch noch diese anderen Therapieformen nutzen, haben ein höheres Gesundheitsbewusstsein, sie sind kompetenter im Umgang mit ihrer Krankheit. Sie gehen eigene, individuelle Wege. Das war eine Ebene, die ich zuvor als Arzt nicht kannte und die mir auch nicht bewusst war. Das hat mich motiviert, neu darüber nachzudenken, ob wir nicht jenseits unseres eigenen Verbandes mit ca. 10.000 Mitgliedern andere Organisationen mit an einen Tisch bekommen könnten, die sich ebenfalls mit diesen Themen beschäftigen.

Wen haben Sie da gefunden?

Stefan Schmidt-Troschke: Wir haben jetzt erstmal zusammen mit dem KNEIPP-BUND und NATUR UND MEDIZIN angefangen, darüber nachzudenken, wie man eine Bürgerbewegung begründen könnte, die den Menschen stärker in den Mittelpunkt rückt. Den Menschen, der seine Genesung selbst in die Hand nehmen möchte, der nicht von außen manipuliert werden will, sondern für den die Natur und die Selbstheilungskräfte eine große Rolle spielen. Das ist nunmal die Domäne der Komplementärmedizin – von der Ordnungstherapie nach Kneipp bis zur Anthroposophischen Medizin und anderen traditionellen Heilverfahren. Da fühlen sich die Menschen in ihrer Biographie und ihrer Individualität gesehen.

Wie sind Sie auf die drei großen Forderungen gekommen, die Sie mit der Kampagne verfolgen?

Stefan Schmidt-Troschke: Zum einen: Chronisch kranke Menschen sind oft nicht mehr erwerbsfähig und haben meist wenig Geld. Es ist ungerecht, dass gerade das, was ihnen helfen würde, nicht durch die gesetzliche Krankenversicherung abgedeckt wird. Zum anderen: Wenn man die Kassen darauf anspricht, heißt es sofort: Dazu gibt es zu wenige Forschungsergebnisse. Ja klar – beforscht wird vor allem, was kommerziell verwertet werden kann und Gewinn verspricht. Was aus der Natur kommt und was Menschen selbst tun können, bringt keinem Unternehmen Profit. 90 Prozent der Forschung in der Medizin sind aber verwertungsorientiert. Deshalb werden technikorientierte Ärzte wie Labormediziner und Radiologen am besten und gesprächsorientierte Ärzte (z. B. Psychotherapeuten) am schlechtesten honoriert. Das zeigt die Prioritäten in unserem System.

Was leitet sich daraus ab?

Stefan Schmidt-Troschke: Es ist die Verantwortung des Staates, das anders zu steuern. Das Beforschen von Therapien sollte mindestens nicht primär wirtschaftlichen Zielen dienen, sondern ist Aufgabe unseres Gemeinwesens, es gehört zur Daseinsfürsorge. Über die Hälfte der Hausärzte wendet Komplementärmedizin tagtäglich an, ohne groß darüber zu sprechen. Das wird in der Forschung nicht abgebildet. Hier muss der Staat Strukturen und Mittel bereitstellen, mit denen solche Verfahren im Versorgungskontext evaluiert werden können. Und natürlich muss Komplementärmedizin im Sinne einer Integrativen Medizin auch Eingang finden in die Ausbildung von Ärzten, Therapeuten und Pflegenden. Nur dann wird sich die Kultur verändern.

Mehr über das Bündnis und die Kampagne weil‘s hilft! unter www.weils-hilft.de