Berlin, 4. Dezember 2018. Das sind alarmierende Zahlen: Kinder, die nicht vollständig schulreif sind, haben ein deutlich erhöhtes, statistisch hochrelevantes Gesundheitsrisiko, weil bei ihnen häufiger als bei älteren Klassenkameraden eine Aufmerksamkeits-Defizit-Hyperaktivitäts-Störung (ADHS) diagnostiziert wird. 

Zunehmend wissenschaftlich untersucht

Schon seit längerem wurde vermutet, dass zwischen früher Einschulung und der Diagnose ADHS ein Zusammenhang besteht. Verschiedene Länder werteten dazu rückwirkend Krankenkassendaten aus, die diesen Verdacht zunächst bestätigten. Die jetzige Studie geht jedoch noch einen Schritt weiter: „Unsere aktuelle prospektive Studie konnte klar zeigen, dass die ADHS-bezogenen Symptome erst nach der Einschulung aufgetreten sind und nicht eventuell bereits vorher bestanden“, so die Studienkoordinatorin und Kinderärztin Dr. Martina Franziska Schmidt von der Universität Mainz. „Damit ist ein kausaler Zusammenhang zwischen frühem Einschulungsalter und dem Auftreten der Symptome wesentlich wahrscheinlicher.“

Im internationalen Vergleich wird die frühe Einschulungspolitik zunehmend kritisch hinterfragt. Anders in Deutschland, wo, so Martina Schmidt, „wir allerdings noch mehr Bewusstsein für das Thema schaffen und die Forschung für die Zusammenhänge von Unreife und ADHS-bezogene Symptome weiter voranbringen müssen: Wodurch werden sie ausgelöst? Ist es der Anpassungsdruck? Oder verstärkter Stress, der die unreifen Kinder belastet?“

Was müssen Eltern wissen?

Die wichtigste Konsequenz aus den Studienergebnissen lautet deshalb: Eltern sollten sich nicht unter Druck setzen lassen, wenn sie das Gefühl haben, dass ihr Kind noch nicht wirklich schulreif ist. „Man kann den Eltern dringend empfehlen, sich mit den Aufnahmegremien bzw. den Schulärzten in eine offene Entscheidungssituation zu begeben“, rät Martina Schmidt. „Wir haben mittlerweile die Schulreifekriterien gut erforscht, so dass es in vielen Bundesländern möglich ist, die Kinder vor der zu frühen Einschulung zu bewahren.“ Die Frage, wo das Kind am besten aufgehoben ist – im Kindergarten, in einer Vor- oder Brückenklasse oder in einer ersten Klasse – hänge von der individuell unterschiedlichen Reife des Kindes ab und könne nur individuell beantwortet werden.

„Dass es einen Zusammenhang gibt zwischen früher Einschulung und ADHS, zeigt ganz deutlich, dass wir uns Gedanken darüber machen müssen, wie und wann Schule gestaltet sein muss, um nicht krank zu machen“, ergänzt Stefan Schmidt-Troschke, Geschäftsführender Vorstand von GESUNDHEIT AKTIV. „Heute werden Kinder und Jugendliche jahrelang in hohem Tempo durch ein Schulsystem geschleust, in dem es in der Regel um reine Wissensvermittlung geht. Das erzeugt viel Stress. Und dass Stress krank macht, wissen wir. Wir fordern daher, Schule eher als Raum für die Entfaltung von den individuellen und sozialen Potenzialen zu sehen.  Denn ob Kinder sich gesund entwickeln können, hängt sehr stark davon ab, wie ihre sozialen Beziehungen gestaltet sind.“

 Weitere Informationen

  • Bildungskonferenz EduHealth: Wie wir gesunde Bildung gestalten können, wurde am 25. Oktober 2018 bei der ersten „Konferenz für gesunde Bildungswelten“ in Mannheim diskutiert. GESUNDHEIT AKTIV war dabei. Was wir gemeinsam erarbeitet haben, lesen Sie hier.
  • Info-Material zu ADHS: „AD(H)S – Krankheit oder Zeitproblem?“, Broschüre von GESUNDHEIT AKTIV, 4 Euro, hier bestellen.
  • Originalpublikation der Studie: Janine Wendt, Martina F Schmidt, Jochem König, Rainer Patzlaff, Michael Huss, Michael S Urschitz: „Young age at school entry and attentiondeficit hyperactivity disorder-related symptoms during primary school: results of a prospective cohort study conducted at German Rudolf Steiner Schools“, British Medical Journal, Volume 8, Issue 10.

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