Es war ein ganzes Sammelsurium von Forderungen, das die „Grüne Jugend“ auf dem Parteitag beschließen lassen wollte: Jegliche „nicht-evidenzbasierte Behandlungsmethoden“ sollten aus der Erstattung durch die Krankenkassen ausgeschlossen werden; Homöopathika (und damit auch Anthroposophische Medizin und Phytotherapie) sollten keine Sonderstellung als „Besondere Therapierichtungen“ mehr genießen, und diverses andere mehr. Das sorgte für gehörigen Wirbel, eine Kommission wurde eingesetzt, um eine mehrheitsfähige Stellungnahme zu erarbeiten. Aber nachdem Interna an die Öffentlichkeit durchgesickert waren, erklärte Robert Habeck die Angelegenheit kurzerhand zur Chefsache. Die Parteispitze selbst wollte eine Stellungnahme erarbeiten.

Jetzt liegt sie offenbar vor und soll beim Parteitag in Karlsruhe im November abgestimmt werden. Das Papier sei unter Federführung von Robert Habeck gemeinsam mit grünen Gesundheitspolitikern erarbeitet worden und werde jetzt vom Bundesvorstand erörtert, sagte Grünen-Chefin Annalena Baerbock vergangene Woche in Berlin. Der Kernpunkt des Kompromissvorschlags ist allerdings ein Armutszeugnis für eine Partei, die dereinst mit viel Mut und Haltung in die politische Arbeit gestartet war.

In einer Fragestunde für die Öffentlichkeit im Rahmen des Sommerinterviews der ARD sagte Habeck auf die Frage, warum die Grünen „offensichtliche Erkenntnisse der Wissenschaft zur Homöopathie ablehnen“ können: „Es gibt eine Diskussion darüber, ob homöopathische Behandlungen und Medikamente von Krankenkassen erstattet werden. Das ist eine vergleichsweise kleine und detailverliebte Frage, dass sie so eine große Aufmerksamkeit erregt hat, gehört sich nicht, wir haben andere Probleme im Gesundheitssystem: die Durchökonomisierung an verschiedenen Stellen zu beenden, den Pflegenotstand usw. Diese Debatte über Homöopathie ist eine Placebo-Debatte und sie ist weitestgehend gelöst. Wir haben das jetzt nur nicht über Corona weiter groß öffentlich gemacht und verfolgt. Im Grunde ist die Antwort, die wir geben, so: Ja, Krankenkassen können das bezahlen über einen Wahltarif, wo diejenigen, die homöopathische Medikamente bezahlt haben wollen, über einen Sondertarif sich dafür versichern. Und so gibt es ein Solidarsystem innerhalb der Homöopathie-Medikamenten-Liebhaber, aber die Allgemeinheit zahlt dann nicht dafür. Ich glaube, das ist eine ganz gute Lösung. Also, der Streit ist gelöst. (...) Jeder kann sich mit den homöopathischen Sachen eindecken oder nicht, wie er das privat will, mit einer Ausnahme: Sie dürfen nicht bei lebensgefährlichen Behandlungen empfohlen oder eingesetzt werden. Das halte ich dann wirklich für falsch. Insofern ist die Überzeichnung der Frage: ‚Sollen Krankenkassen das bezahlen?‘ und ‚Glauben die Grünen an Homöopathie oder nicht?‘ oder die Wissenschaftsfrage falsch an der Stelle.“

GESUNDHEIT AKTIV meint
Mit dieser Festlegung verabschiedet sich BÜNDNIS 90/die GRÜNEN von dem Grundsatz, dass auch die „Besonderen Therapierichtungen“ zu den erstattungsfähigen Leistungen gehören. Selbst wenn die eigentlichen Formulierungen bewusst vage bleiben und einen gewissen Interpretationsspielraum lassen: Die Homöopathie soll ausgegrenzt werden aus dem System. Wahltarife haben sich nicht bewährt, das dürften auch die Expert*innen in dieser Partei wissen. Insofern endet die hier vorgetragene Lösung im Nichts.

Der GRÜNEN-Chef ist einer sehr erfolgreichen Kampagne von Skeptiker-Ideologen auf den Leim gegangen, deren Behauptung, Homöopathie sei wissenschaftlich nicht belegt, nicht wahrer wird, indem sie immer wieder drohend vorgetragen wird. Wir werden das so nicht hinnehmen. Die Haltung zur Homöopathie ist ein Indikator dafür, dass offenbar auch diese Partei einer zunehmend technokratischen Sicht auf Gesundheit und Krankheit das Wort redet und immer weniger versteht: Gesundheit hat immer etwas mit Vielfalt und mit Wahlfreiheit zu tun.

Menschen, die zwischen 3.000 und 5.000 Euro pro Jahr Zwangsabgaben in das Solidarsystem entrichten und an nachhaltiger Gesundheit interessiert sind, haben es nicht verdient, auf diese Weise bevormundet zu werden. Warum werden gerade diejenigen bestraft, die es mit weniger Antibiotika und natürlichen Methoden schaffen, ihre Gesundheit im Griff zu behalten?

Quelle
Pharmazeutische Zeitung, 18. August 2020
ARD Sommerinterview, 16. August 2020 („Frag selbst“ mit Robert Habeck, ab Minute 03:42 bis 06:11).