Newsletter Januar 2021 – Lange hat es gedauert, heftig wurde darüber gestritten, und über all den Corona-Wirren ist sie schier in Vergessenheit geraten.  Nichtsdestotrotz ist sie jetzt am 1. Januar 2021 gestartet: die Testphase der elektronischen Patientenakte (ePA), vorerst nur mit ausgewählten Praxen in Berlin und in der Kassenärzte-Region Westfalen-Lippe. Es ist das bisher größte IT-Projekt im deutschen Gesundheitswesen und vernetzt rund 200.000 Leistungserbringer*innen mit potenziell 73 Millionen Krankenversicherten. Um diesen gewaltigen Kraftakt zu stemmen, wird die ePA stufenweise eingeführt.

Die elektronischen Akten der Krankenkassen sollen den Versicherten zum 1. Januar 2021 freiwillig zur Verfügung stehen. Gleichzeitig beginnt eine umfangreiche Test- und Einführungsphase mit ausgewählten Arztpraxen und Krankenhäusern. Erst danach startet die flächendeckende Vernetzung. Die Praxen und Krankenhäuser müssen deshalb bis zum 1. Juli 2021 über die entsprechende Software und Dienste verfügen.

Nach dem Willen von Gesundheitsminister Spahn soll die ePA auch als App nutzbar sein und schrittweise in ihren Funktionen ausgeweitet werden. Gespeichert werden dort fürs erste medizinische Befunde und Röntgenbilder, ab 2022 dann auch der Mutterpass, der Impfausweis und das Untersuchungsheft für Kinder sowie das Zahnbonusheft.

Die Kassen setzen große Hoffnungen in die ePA. Sie sei „ein Meilenstein auf dem Weg, die Digitalisierung für eine bessere Versorgung der Versicherten zu nutzen“, so Doris Pfeiffer, Vorstandsvorsitzende des GKV-Spitzenverbands.

Wichtig: Die Patient*innen sollen selbst entscheiden, was in der ePA gespeichert wird und wer darauf zugreifen darf. Das wird allerdings erst ab 1. Januar 2022 möglich sein – was schon zu harscher Kritik geführt hat. Auch wirft die Tatsache, dass längst nicht alle Arztpraxen bereit und in der Lage sind, sich technisch für die ePA auszurüsten, Sand ins Getriebe der Einführungsphase. Zudem ist der Bundesbeauftragte für Datenschutz, Ulrich Kelber, nicht gerade begeistert über diese Neuerung. Er kritisiert die eingeschränkten Zugriffsmöglichkeiten und hat bereits angekündigt, an 65 Krankenkassen mit insgesamt 44,5 Millionen Versicherten Warnungen und bestimmte Anweisungen zu verschicken. Er wird unterstützt vom Chaos-Computer-Club und IT-Sicherheitsberatern, die digitale Identifizierungsverfahren für „rechtlich und technisch unzulässig“ erachten. Auch das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik meint, dass solche Verfahren „wegen des hohen Schutzbedarfs von Gesundheitsdaten für den benannten Einsatzzweck grundsätzlich als nicht geeignet anzusehen“ seien. Höchstens ein zeitlich befristeter Einsatz sei vertretbar.

Verbesserungsbedarf mahnt auch der Landesbeauftragte für Datenschutz in Rheinland-Pfalz, Prof. Dieter Kugelmann, an: Es müsse sichergestellt sein, dass die Souveränität der Versicherten hinsichtlich der Verarbeitung ihrer Daten gewahrt und geschützt werde. Daran hapere es immer wieder. Datenschutzrechtliche Zertifizierungen der IT-Anbieter sollen z. B. erst ab 2023 vorgeschrieben sein, bis dahin gelten die eigenen Erklärungen der Hersteller als ausreichend. Datenschutz und IT-Sicherheit dürften jedoch nicht auf die lange Bank geschoben werden, betont Kugelmann.

Bei den Versicherten stößt die ePA auf ein geteiltes Echo, wie eine aktuelle Umfrage des Meinungsforschungsinstituts YouGov für Handelsblatt Inside zeigt. Von 580 Bürger*innen hatten nur zwei Prozent die entsprechende App ihrer Krankenkasse schon runtergeladen. Weitere 30 Prozent wollen das noch tun. Ein Viertel der Befragten kennt die ePA gar nicht, ebenso jeder vierte lehnt sie ab.

Auch eine Umfrage des Praxis-WLAN- und Kommunikatiosdienstleisters Socialwave ergab, dass 9 von 10 Patient*innen nicht oder nur oberflächlich wissen, wie die ePA funktioniert. Fast 40 Prozent haben noch nie etwas davon gehört, gut ein Viertel meint, die ePA sei verpflichtend.

Die Gesundheitsexpertin der Grünen, Maria Klein-Schmeink, fordert, über die Vorteile, Risiken und Schwierigkeiten bei der Einführung der ePA müsse „transparent und ehrlich“ gesprochen werden, um „keine falsche Erwartungshaltung aufzubauen“. Ansonsten stehe „zu befürchten, dass Versicherte die ePA ausprobieren, keinen Nutzen für sich erkennen und die Akte dann links liegen lassen.“ Sie habe aber durchaus das Potenzial, einen echten Mehrwert für die Patient*innen zu erbringen.

GESUNDHEIT AKTIV meint:
Was lange währt, wird noch lange nicht gut. Tatsache ist: Eine Digitalisierung unserer Gesundheitsdaten ist grundsätzlich sinnvoll und angesichts der schier unendlichen Verknüpfungsmöglichkeiten heute auch kaum mehr zu vermeiden. Chronisch kranke Menschen, die mit drei Leitz-Ordnern in die ärztliche Sprechstunde kommen, sollten zukünftig lieber auf neue und hoffentlich andere schnelle und transparente Zugriffsmöglichkeiten setzen. Ob allerdings gerade dies gelingt, ist sehr fraglich. Wie viele EDV Entwicklungen im Gesundheitsbereich dienen auch hier die Daten weniger den Patient*innen als einer strategischen Erfassung durch zentrale Stellen, die sie nutzen, um Patient*innen und Ärzte zu „steuern“. Auf die Vorteile für die Nutzer*innen werden wir wohl noch lange warten müssen.

Die Ausgestaltung der ePA lässt da noch einiges offen – wir werden sehen. Überdies: Dass die Zustimmung der Patient*innen zur Nutzung der ePA erforderlich ist, klingt erst einmal gut. Was aber, wenn dadurch eine Diskriminierung derjenigen stattfindet, die sich nicht dazu entschließen können? Es könnte immerhin sein, dass ihnen dann bestimmte Leistungen einfach gar nicht mehr zur Verfügung stehen. Eine Mogelpackung? Schreiben Sie uns dazu gerne Ihre Meinung per E-Mail.

Quelle:
aerzteblatt.de, 7. Dezember 2020
datensicherheit.de, 7. Dezember 2020
Pressemitteilung Socialwave, 28. Dezember 2020
aerzteblatte.de, 30. Dezember 2020
aerzteblatt.de, 7. Januar 2021

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