Die Situation in der Pflege ist dramatisch. Laut aktuellem Pflege-Report der AOK erhält ein Gutteil der rund 800.000 Pflegeheimbewohner in Deutschland zu viele Psychopharmaka. Besonders betroffen sind die rund 500.000 Demenzkranken. Das zeigt eine vom Bundesgesundheitsministerium geförderte Untersuchung, deren Ergebnisse im Pflege-Report 2017 enthalten sind. Demnach erhielten gut 30 Prozent der Bewohner ein Antidepressivum. 40 Prozent der Bewohner mit Demenz bekommen dauerhaft mindestens ein Neuroleptikum, ebenso knapp 20 Prozent der Heimbewohner ohne Demenz. Diese Mittel werden verabreicht, um die Kranken und Pflegebedürftigen ruhig zu stellen, weil Personal fehlt, so der schockierende Hintergrund.

Mit Blick auf unerwünschte Nebenwirkungen wie Stürze, Schlaganfälle oder Thrombosen warnt die Leiterin der Untersuchung, Prof. Petra Thürmann: „Neuroleptika werden als Medikamente zur Behandlung von krankhaften Wahnvorstellungen, sogenannten Psychosen, entwickelt. Nur ganz wenige Wirkstoffe sind zur Behandlung von Wahnvorstellungen bei Demenz zugelassen, und dann auch nur für eine kurze Therapiedauer von sechs Wochen. Der breite und dauerhafte Neuroleptika-Einsatz bei Pflegeheimbewohnern mit Demenz verstößt gegen die Leitlinien.“ Dass es auch anders geht, beweisen Zahlen aus Skandinavien: In Schweden erhalten nur zwölf Prozent, in Finnland 30 Prozent der demenzkranken HeimbewohnerInnen ein Neuroleptikum. „Es scheint also Spielraum und Alternativen zu geben“, so Petra Thürmann, die auch Mitglied des Sachverständigenrates des Bundesgesundheitsministeriums ist. 

Wie kann man den schon lange bestehenden Herausforderungen in der Pflege begegnen? Uta Kirchner, engagierte Start-Up Unternehmerin in Berlin, will es wissen: Sie holte für das Pflege-Camp „Auf Augenhöhe“ im März 2017 in Berlin fast 100 Menschen aus der ambulanten Pflege zusammen, um mit Beratern, Politikern und Vertretern von NGOs gemeinsam zu diskutierten, wie wir die Pflege besser machen können. Auch GESUNDHEIT AKTIV war dabei.

Am Beispiel des niederländischen Buurtzorg-Modell, 2006 gegründet vom Pfleger und heutigen Geschäftsführer Jos de Blok, wurde beim Camp diskutiert, wie Pflege auf Augenhöhe funktionieren kann. Der unglaubliche Erfolg des holländischen Modells fungiert nun als Vorbild für neue Modelle in Deutschland. Buurtzorg ist mittlerweile der größte Anbieter von mobiler Pflege in den Niederlanden und wurde 2015 bereits zum fünften Mal zum besten Arbeitgeber des Landes gewählt. Auch hierzulande sind viele Pflegende überzeugt: Ohne flache Hierarchien, ohne feste Bezüge in der Gemeinde, ohne Selbstbestimmung der Pflegenden, werden wir den Herausforderungen und einer menschlichen Pflege nicht gerecht werden.

Stefan Schmidt-Troschke hat das Camp mit GESUNDHEIT AKTIV miterlebt und war begeistert: „Ein toller Anstoß, da waren viel Energie und Unternehmertum im Raum. So kann echter Wandel entstehen! Denn Pflege braucht nicht nur einfach mehr Geld. Gute Pflege beruht auf einem Menschen- und Kulturverständnis, das vor allem auch die Pflegenden selber in ihren Bedürfnissen ernst nimmt. Eine horizontale Führungskultur kann in diesem Zusammenhang ganz Wesentliches leisten. Wir hoffen auf mehr!“

Quelle: Pflege-Report 2017 (AOK)

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