Wie wohltuend und beruhigend ein Aufenthalt in der freien Natur sein kann, wissen wir alle. Weniger bekannt und jetzt wissenschaftlich untermauert ist, dass der Blick auf Bäume, Wiesen oder Hügel auch heilsam ist, wenn man krank ist, vor allem, wenn man im Krankenhaus liegt. Herausgefunden hat das der US-Amerikaner Roger Ulrich, der als junger Mann im Rahmen einer Europa-Reise fasziniert war von den Schweizer Alpen und sich fortan dem Studium der Umweltgeographie zuwandte.

Im Rahmen einer Studie verglich er den Genesungsprozess von Patient:innen, die sich zwischen 1972 und 1981 einer Gallenblasenoperation unterziehen mussten und sich im Hinblick auf Alter, Geschlecht, Gewicht und Rauchgewohnheiten ähnelten. Die einen hatten von ihrem Krankenbett aus einen freien Blick auf die Natur, die anderen schauten auf Häuserwände. Ulrich berücksichtigte die Zeit des Klinikaufenthalts, die eingenommenen Medikamente, die Krankheitssymptome und den Zustand anhand der Krankenakten und den Notizen der Pflege.

Das Ergebnis: Wer auf Bäume schauen konnte, blieb einen knappen Tag weniger in der Klinik, benötigte weniger Schmerzmittel und hatte seltener Beschwerden. Ulrich veröffentlichte seine Ergebnisse 1984. Seither sind sie bei vielen Klinikneubauten mit in die Planung eingeflossen. „Biophile Klinikgestaltung“ nennt sich das. Vor allem aber wurden sie durch hunderte weitere Studien bestätigt.

Und noch ein weiteres zeigte sich: Der Blick auf echte Wiesen, Bäume, einen Fluss oder See ist nach Operationen sehr viel heilsamer als abstrakte Kunst an der Wand des Krankenzimmers. Das ließ sich unmittelbar an Blutdruck und Herzfrequenz zeigen.

Eine weitere Studie von Ulrich zeigte, dass auch Pflegende, die ihre Pause in einem Garten verbrachten, weniger anfällig für ein Burnout waren als wenn sie in Pausenräumen blieben.

Quelle:

Neue Zürcher Zeitung, 11. Januar 2022

zurück zur Übersicht