Anfang März organisierte GESUNDHEIT AKTIV e. V. die Filmvorführung von „Crazywise“ und lud den Regisseur Phil Borges zu einem gemeinsamen Gespräch ein.  Rund 80 Interessierte sahen die Dokumentation am vergangenen Freitagabend im regenbogenKino in Berlin-Kreuzberg und sprachen im Anschluss mit Phil Borges über den Film, in dem auf eindrückliche Weise gezeigt wird, wie sich unser westliches Verständnis von psychischer Gesundheit von dem Wissen indigener Völker unterscheidet.

Im Mittelpunkt der Dokumentation werden Adam und Ekhaya porträtiert – zwei Menschen in psychischen Krisen und mit den daraus resultierenden Diagnosen. Als Zuschauer erfährt man hautnah und bewegend, welche persönlichen Erfahrungen und welche Höhen und Tiefen sie durchgemacht haben, um aus diesen Krisen heraus und sich selbst zu finden.

Wir nutzten an diesem Abend die Gelegenheit für ein kurzes Interview mit Phil Borges:

Was war der ausschlaggebende Momen, den Film „Crazywise“ zu machen und über mehrere Jahre hinweg zu verfolgen?
Ich hatte mich gefragt, wie ich all die Informationen und das Wissen, welches ich jahrelang über traditionelle Heiler und Schamanen in indigenen Gemeinschaften gesammelt hatte, nutzen kann. Als ich einen kurzen Meditationsfilm drehte, lernte ich Adam kennen. Während ich seine Geschichte und die Diagnose einer psychischen Störung erfuhr, entschloss ich mich zu diesem Film und einem kulturellen Vergleich.  

Was hoffst du mit diesem Film zu verändern?
Ich hoffe, dass wir in der westlichen Gesellschaft anfangen können, nach der Bedeutung und dem Zweck hinter dem schweren psychischen emotionalen Leiden zu suchen, anstatt nur zu versuchen, die Symptome eines "chemisch unausgeglichenen" Gehirns zu unterdrücken. Vielleicht gelingt es uns, Hoffnung auf Genesung zu haben und diese Episoden als potenziell transformative Prozesse zu sehen und nicht als eine Krankheit, die nicht heilbar ist.  

Verrückt oder weise? Was könnte die moderne Welt von der traditionellen lernen? Oder die "Nichtverrückten" von den sogenannten "Verrückten"?
Wir können lernen, nicht so viel Berührungsängste oder Skepsis den Menschen gegenüber zu haben, die „nicht-normale“ Bewusstseinszustände haben. Und wir können nach den möglichen Potenzialen dieser Bewusstseinszustände fragen, wie zum Beispiel tiefere Gefühle der Einheit und Verbundenheit, mehr Kreativität, weniger Hemmungen …

Wie denkst du über das westliche Gesundheitssystem im Hinblick auf mentale Krankheiten oder seelische Krisen?
Es ist viel weniger barbarisch als in der Vergangenheit - frontale Lobotomien, Blutlassen, Insulinschocktherapie, etc. Allerdings ist es immer noch zu stark von biomedizinischen Ansätzen und Therapien dominiert und stark auf die Behandlung mit Medikamenten ausgerichtet. Ich setze mich dafür ein, dass den sozialen Beziehungen und dem kulturellen Kontext der leidenden Person mehr Aufmerksamkeit geschenkt wird.

An welchem Projekt arbeitest du momentan?  
Ich sammle Interviews von Menschen, die eine psychische Krise erfolgreich gemeistert haben. Ich frage danach, was sie in den ungewöhnlichen Zustand versetzt hat. Gab es irgendwelche positiven Aspekte dieser Episode? Wenn ja, was führte dann aber dazu, dass die positiven Erfahrungen schmerzlich oder beängstigend wurden. Daraus möchte ich eine Reihe von Interviews veröffentlichen, die spirituelle Bewusstseinszustände oder seelische Krisen reflektieren.

Das Fazit an diesem Abend
Phil Borges geht es nicht um die Romantisierung von Schamanismus oder der Lebensweise von indigenen Völkern. Es geht ihm auch nicht um die Verteufelung von Psychopharmaka und anderen Behandlungsmethoden. Vielmehr geht es ihm um ein Umdenken in der Begleitung von Menschen, die in psychischen Krisen stecken, und um die Frage, wie diese Menschen anders oder besser unterstützt werden können. Vor allem in Gesellschaften, die vorrangig nach dem Prinzip von Leistung und Zeiteffizienz ausgerichtet sind und in denen das Netz der Gemeinschaft stellenweise brüchig geworden ist.

So regt der Film zum Nachdenken und zur Rückbesinnung an, auf zwei wesentliche menschliche Bedürfnisse – Sinnfindung und stabile soziale Beziehungen. Denn wenn wir selber verstehen, warum wir mit einer Krankheit oder Krise konfrontiert sind und bestenfalls in diesen Phasen von anderen verstanden und begleitet werden, dann ist das nicht nur der Schlüssel, um gesund zu werden, sondern auch, um gesund zu bleiben. Darüber hinaus wären Menschen in seelischen Krisen besser dazu befähigt, ihren eigenen Weg aus dem Tief zu finden.

Weitere Informationen

  • Möchten Sie mehr über Crazywise erfahren oder den Film angucken? www.crazywisefilm.com
    „Crazywise“ | USA, Russland, Ecuador, Mongolei; 2016 | Genre: Dokumentation | Regie: Phil Borges, Kevin Tomlinson | Sprache: OmU | 82 Minuten
  • Was tun in Krisenzeiten? Wer Anregungen hat oder sucht, kann uns eine E-Mail schreiben. Wir vermitteln gerne weiter.

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