Kinderärzte schlagen Alarm. Beim Kongress für Jugendmedizin in Weimar im April 2018 hat der Berufsverband der Kinder- und Jugendärzte (BVKJ) massiv die "kritiklose Förderung der Digitalisierung in Kitas und Schulen" durch die Industrie und jüngst auch durch die neue Bundesregierung angeprangert. Die Ärzte Zeitung berichtet: „Etwa 100 000 Jugendliche zwischen 12 und 17 Jahren gelten derzeit als schwerwiegend medienabhängig und pro Jahr kommen weiter 20 000 junge Menschen hinzu.“ Angesichts dieser Entwicklung sei es völlig unverständlich, dass politisch gewollt sei und geplant werde, Kinder in Schule und Kita mit einem Tablet auszustatten.

Gleichgewicht finden

„Es wird in Zukunft mehr als bisher darum gehen, auch im Umgang mit Medien ein sinnvolles Gleichgewicht zu finden“, sagt Dr. Till Reckert, Facharzt für Kinder- und Jugendmedizin und Pressesprecher des BVKJ in Baden-Württemberg. „Das Problem der Digitalisierung der Schulen und Kitas ist ja ein Reihenfolgenproblem. Man sollte erst laufen können und dann Autofahren lernen und man sollte erst schreiben und lesen lernen und dies dann auf Textverarbeitung anwenden. Denn besonders in der frühen Kindheit lernt man viel besser, wenn der ganze Körper einbezogen wird (embodied cognition). Der Mensch lernt, was er tut. Was er nicht tut – innerlich oder äußerlich – lernt er nicht. Bei kleinen Kindern ist dies zum Beispiel: sich selber beschäftigen können, auch mit wenigem. Und ebenso: Den eigenen Körper gut handhaben können, denn der ist bei der Beschäftigung mit Medien eher wie abgekoppelt vom seelischen Geschehen.“

Reale Erlebnisse schaffen

Heute sei es allerdings so, dass vor allem die Medienpädagogen den Ton angeben, die sich für mehr Digitalisierung schon in der frühen Kindheit einsetzen. Till Reckert: „Wir Kinderärzte merken aber, dass viele Eltern große Fragen haben: Wie viel soll und darf es sein? Was ist zu viel? Wir merken natürlich, dass Eltern digitale Medien selbst intensiv nutzen. Insofern hat es viel mit den Eltern zu tun, ob Kinder in der ‚realen‘ Welt wichtige Erfahrungen machen können. Es ist Aufgabe unserer gesamten Gesellschaft, dafür Räume und Gelegenheiten zu schaffen. Wenn das Kind und der Jugendliche eine begeisternde Aufgabe im wirklichen Leben hat, können sich der Medienkonsum und gleichzeitig die seelische Befindlichkeit verbessern.“

Ähnlich argumentiert auch Marlene Mortler, Drogenbeauftragte der Bundesregierung: „Für mich ist ganz klar: Wir müssen die gesundheitlichen Risiken der Digitalisierung ernst nehmen! Es ist dringend notwendig, Eltern beim Thema Mediennutzung eine Orientierung zu geben. Kleinkinder brauchen kein Smartphone. Sie müssen erst einmal lernen, mit beiden Beinen sicher im realen Leben zu stehen. Unter dem Strich ist es höchste Zeit für mehr digitale Fürsorge – durch die Eltern, durch Schulen und Bildungseinrichtungen, aber natürlich auch durch die Politik.“ 

Petition unterstützen!

Auch GESUNDHEIT AKTIV macht sich für einen sensiblen Umgang mit digitalen Medien gerade bei den Kleinsten stark. Deshalb unterstützen wir die Petition „Für ein Recht auf bildschirmfreie Kitas, Kindergärten und Grundschulen“, die gemeinsam von ELIANT und dem Bündnis für Humane Bildung angestoßen wurde. Hier können Sie unterschreiben!

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