Pränataldiagnostik

Welche Entscheidungen Eltern treffen müssen

Jede Schwangere hat nicht nur ein Recht, zu erfahren, was genau pränatale Untersuchungen mit sich bringen können, sondern auch ein Recht auf Nicht-Wissen. Werdende Eltern sollten unvoreingenommen aufgeklärt werden über die Möglichkeiten, Risiken und Konsequenzen der Pränataldiagnostik.

Wenn eine Frau heute schwanger wird, steht sie in den folgenden neun Monaten respektive 40 Wochen meist unter strenger Beobachtung. Frauenärzte gehen bei Untersuchungen und Tests zur Gesundheit von Mutter und Kind heute weit über das hinaus, was die reguläre Schwangerschaftsvorsorge beinhaltet. Die Mutterschafts-Richtlinien des „Gemeinsamen Bundesausschusses über die ärztliche Betreuung während der Schwangerschaft und nach der Entbindung“ sehen zum Beispiel nur drei Ultraschalluntersuchungen vor: einmal in der 8.-11., dann in der 18.-21. und noch einmal in der 28.-31. Schwangerschaftswoche. Die Realität heute sieht anders aus, denn selbst bei einer unauffällig verlaufenden Schwangerschaft werden bei 50 Prozent der Frauen mehr als fünf Ultraschall-Untersuchungen gemacht und bei nahezu jeder Schwangeren ein CTG (Cardiotocography) aufgezeichnet, mit dem Herztöne und Wehentätigkeit erfasst werden.

Dabei gehören nur bei sogenannten Risikoschwangeren mehr Ultraschall-Aufnahmen und generell ein breiteres Spektrum an Vorsorgeuntersuchungen zur Routine. Allerdings zählen heute ohnehin 80 Prozent aller Schwangeren in Deutschland zu dieser Gruppe. Dies liegt nicht zuletzt daran, dass die identifizierten Risikofaktoren von ursprünglich 17 auf 52 angewachsen sind. Zu den Risikofaktoren gehören beispielsweise: eine frühere Fehlgeburt, ein vorausgegangener Kaiserschnitt, aber auch Vorerkrankungen wie Diabetes oder Bluthochdruck und das Alter der Mutter (35 Jahre beim ersten Kind, 40 Jahre ab dem zweiten Kind).

Organische Fehlentwicklungen und Chromosomenstörungen

Es ist bekannt, dass mit zunehmendem Alter einer Schwangeren das Risiko, ein Kind mit einer Chromosomenstörung (Fehlverteilung der Träger der Erbanlagen) zu bekommen, ansteigt. Die am häufigsten auftretende Chromosomenstörung ist das Down-Syndrom, bei dem das Chromosom 21 dreimal anstatt zweimal angelegt ist, weshalb es auch Trisomie 21 genannt wird. Es folgen die Trisomie 18 (Edwards-Syndrom) und die Trisomie 13 (Pätau-Syndrom)). Aufgrund dieses Anstieges von Chromosomenstörungen bei steigendem Alter wird in Deutschland nach den Mutterschaftsrichtlinien allen Schwangeren, die bei der Geburt 35 Jahre oder älter sind, eine Nackentransparenzmessung (Nackenfaltenmessung) oder Fruchtwasseruntersuchung zur Abklärung der Chromosomen angeboten (Altersindikation).

Da aber auf der einen Seite die meisten Schwangeren über 34 Jahre gesunde Kinder gebären und auf der anderen Seite immer noch etwa die Hälfte der Kinder mit Down-Syndrom von Frauen geboren werden, die jünger sind als 35, muss man sagen, dass das Alter alleine nur einen eingeschränkt brauchbaren Parameter für oder gegen eine Entscheidung zur Pränataldiagnostik darstellt.

Nackentransparenzmessung (Nackenfaltenmessung)

Eine inzwischen gängige und ab einem Alter der Schwangeren von 35 Jahren empfohlene Untersuchung ist die sogenannte Nackentransparenzmessung in der 12. bis zur 14. Schwangerschaftswoche. Bei dieser Ultraschalluntersuchung erfolgt eine Überprüfung des Entwicklungszustandes des Embryos und eine erste Organprüfung, soweit es die Verhältnisse des frühen Schwangerschaftsalters zulassen. Dabei kann ein Großteil schwerer Fehlbildungen nahezu ausgeschlossen werden.

Unter Zuhilfenahme des mütterlichen Alters, der Dicke der Nackentransparenz, der fetalen Herzfrequenz, eventuell auch der Darstellbarkeit des Nasenknochens und der Einbeziehung weiterer Marker (z. B. dem Blutfluss im Ductus venosus) kann ein spezifisches Risiko für das Vorliegen einer Chromosomenstörung ermittelt werden. Die Wahrscheinlichkeit, einen Embryo mit einem Down-Syndrom so zu erkennen, liegt dann über 90 Prozent. Trotzdem ersetzt diese Ultraschalluntersuchung den üblicherweise ab der 20. Schwangerschaftswoche durchzuführenden weiterführenden Ultraschall (Feindiagnostik) nicht.

Gerade weil das Testergebnis keine Diagnose, sondern nur eine individuelle Risikoabschätzung ist, sollte man sich bereits im Vorfeld gemeinsam mit dem Arzt Gedanken darüber machen, welchen Risikofaktor man akzeptabel findet und deshalb dann auf eine anschließende Fruchtwasseruntersuchung verzichtet. Zu bedenken gilt außerdem, dass 95 bis 97 Prozent der Babys, bei denen eine verdickte Nackenfalte entdeckt wurde, kerngesund zur Welt kommen.

NIPT (Nicht-invasive Pränatal-Test) (= Nicht-invasive Pränatal-Diagnostik (NIPD)

Neben bzw. zusätzlich zur Nackenfaltenmessung gibt es genetische Bluttest in der Schwangerschaft (NIPT). Der Schwangeren wird Blut entnommen und Spuren des kindlichen Erbguts, die sich darin befinden, herausgefiltert. Anhand dieses Materials lässt sich eine Wahrscheinlichkeit abschätzen, ob das Baby an bestimmten Chromosomen-Abweichungen leidet. Bisher lassen sich damit die Erbgut-Abweichungen Trisomie 21, Trisomie 18 und Trisomie 13 feststellen. Organische Entwicklungsstörungen lassen sich mit dem NIPT allerdings nicht feststellen.

Der NIPT ist grundsätzlich nach der vollendeten 9. SSW möglich, sinnvoller ist es jedoch bis zur 12. SSW abzuwarten, da dann weniger Testversager auftreten. Generell gilt beim NIPT, dass ein negatives Testergebnis als zuverlässig eingeschätzt werden kann, ein positives Testergebnis jedoch, insbesondere bei jüngeren Schwangeren, heißt nicht sicher, dass auch tatsächlich eine genetische Störung vorliegt.

Der NIPT gehört seit dem 01.07. 2022 zur Kassenleistung und wird von der Krankenkasse bezahlt. Falls der NIPT positiv ausfällt, werden weitere Untersuchungen empfohlen, und zwar die Chorionzottenbiopsie sowie die Fruchtwasseruntersuchung.

Chorionzottenbiopsie und Fruchtwasseruntersuchung

Liefern die Nackenfaltenmessung oder der NIPT Hinweise auf Chromosomenstörungen, werden der Schwangeren weitere Untersuchungen angeraten. Zum einen die Chorionzottenbiopsie, eine Punktion des Mutterkuchens. Diese Untersuchung ist ab der 12. SSW möglich. Zum anderen kann ab der 16. SSW eine Fruchtwasseruntersuchung durchgeführt werden. Hierbei wird eine Nadel durch die Bauchdecke eingeführt, um kindliche Zellen aus der Gebärmutter zu entnehmen. Beide Untersuchungen haben ein Fehlgeburtsrisiko von 0,5-2 Prozent. Falls auch hier das Ergebnis auffällig sein sollte, können weitere Beratungen in Anspruch genommen werden, wie beispielsweise von einem Pränatalmediziner, einer Sozialberatung oder von Selbsthilfegruppen. Genetische Erkrankungen weisen ein großes Spektrum auf, es reicht von schweren Fehlbildungen bis hin zu Kindern ohne organische Fehler. Organfehlbildungen sind weitaus häufiger als Trisomien.

Durch pränatale Untersuchungen ist das Vorliegen einer Fehlbildung, einer Erkrankung oder einer Chromosomenstörung nie sicher auszuschließen und trotzdem gilt zu bedenken, dass 96 Prozent aller Kinder kerngesund zur Welt kommen. 95,5 Prozent aller Behinderungen entstehen im Laufe des Lebens – beispielsweise durch Unfälle oder Krankheiten. oder anderes, nur 4,5 Prozent sind angeboren.

Pränataldiagnostik – Segen oder Fluch?

Die meisten Tests und Untersuchungen sollen in erster Linie der Beruhigung dienen: Alles in Ordnung mit dem Baby. Zeigen sich während der pränatalen Untersuchungen keine Auffälligkeiten, können diese dazu beitragen, Ängste während der Schwangerschaft abzubauen und einen ungestörten Schwangerschaftsverlauf unterstützen. Was aber, wenn sich herausstellt, dass eben irgendetwas nicht „in Ordnung“ ist? Zeigen sich während der pränatalen Untersuchungen Auffälligkeiten, führt das häufig zu einer erheblichen Verunsicherung und Konfliktsituation für die werdenden Eltern.

Wir müssen uns fragen: Wie kommen wir in solchen Situationen zu Entscheidungen, die unserer inneren Überzeugung wirklich entsprechen? Welchem Wertesystem folgt unsere Gesellschaft, wenn es um die Pränataldiagnostik geht? Sollen Menschen mit Behinderung, egal, welcher Art, bei uns keinen Platz mehr haben? Inzwischen entscheiden sich 90 Prozent aller Schwangeren in Europa gegen ihr Kind, wenn sich durch pränatale Untersuchungen zeigt, dass das Down-Syndrom vorliegt. Werden wir dank der vorgeburtlichen Tests also kurzerhand zu „Privateugenikern“, wie es Matthias Thieme, Vater einer Tochter mit Down-Syndrom, in der taz formulierte? Auch Kathrin Fezer Schadt hat ihre Erfahrungen bezüglich einer auffälligen Diagnose in der Schwangerschaft in dem berührenden Buch "Lilium rubellum“ literarisch aufgearbeitet. Fast beängstigend ist es zu lesen, wie Mütter heute aus einer Systemlogik heraus in eine Entscheidung hineingetrieben werden, an der sie meist lebenslang zu tragen haben. Denn in einer Gesellschaft, in der Krankheit und Tod möglichst ausgeblendet werden und Totgeburten ein Tabuthema sind, bleiben Eltern mit ihrem Schmerz weitgehend allein. Kathrin Fezer Schadts Büchern

Verbot von „Baby-Fernsehen“

Ab 01.01.2021 sind im Übrigen diejenigen Ultraschalluntersuchungen während der Schwangerschaft verboten, die nicht medizinisch begründet und nicht Teil des Leistungskatalogs der gesetzlichen Krankenversicherung sind. Dies umfasst auch die landläufig als „Babyfernsehen“, bekannte Ultraschalluntersuchung auf Selbstzahlerbasis (IGeL). Begründet wird diese neue Verordnung im Strahlenschutzgesetz damit, dass es sich bei dem Ungeborenen um einen Schutzbefohlenen handele, der der Untersuchung und den damit verbundenen möglichen Nebenwirkungen nicht zustimmen kann und selbst keinen Nutzen aus jener Untersuchung zieht. Die für die Bildgebung notwendigen hohen Ultraschallintensitäten seien jedoch mit einem potenziellen Risiko für das Ungeborene verbunden, wovor es zu schützen sei.