Seit zwei Jahren lautet das gebetsmühlenhaft wiederholte Mantra, dass uns nur die Impfung aus der Pandemie herausführen könne. Und genauso lange beschwört die Politik diese Strategie als alternativlos. Angesichts der zahllosen Impfdurchbrüche, besser: des Impfversagens, scheint das allerdings eine gewagte Theorie, die den praktischen Erfahrungen nicht standhält. Ja, die Impfung schützt vor einem schweren Krankheitsverlauf – vor allem Personen mit bestimmten Risiken (z. B. ältere und vorerkrankte Menschen). Und ja, es ist sinnvoll, dass diese Personengruppen sich impfen lassen. Bei Jüngeren im Alter zwischen 25 und 60 ist es mehr eine Ermessensfrage – und auch da abhängig von Risikofaktoren (Übergewicht, Vorerkrankungen wie Diabetes, hoher Blutdruck, geschwächter Allgemeinzustand …). Jede:r kann selbst für sich abwägen, ob sie/er für sich das Risiko einer Covid-19-Erkrankung höher einschätzt als das Risiko der Impfung oder umgekehrt. Bei den unter 25-Jährigen jedoch ist die Impfung umstritten, was Nutzen und Risiken betrifft, vor allem bei jungen Männern zwischen 16 und 25 Jahren, die doch – wie sich inzwischen zeigt – ein relativ hohes Risiko für eine Herzmuskelentzündung haben, deren langfristige Folgen derzeit nicht eingeschätzt werden können. Für gesunde Kinder unter 12 Jahren ist die Impfung sicher nicht nötig – ihre Krankheitslast durch Covid-19 ist vernachlässigbar gering.

Die Impfung wird aber nicht verhindern, dass die Intensivstationen nicht volllaufen – das zeigen schon die bisherigen Erfahrungen. Denn auch Geimpfte können erkranken, wenngleich meistens nicht so schwer. Genaue Zahlen dazu sind allerdings nicht bekannt. Und es darf gut und gern als Skandal gewertet werden, dass erst vor wenigen Tagen damit begonnen wurde, den Impfstatus der Covid-19-Patient:innen auf den Intensivstationen zu erfassen, ganz zu schweigen von den mehr als fragwürdigen Inzidenzen für Geimpfte und Ungeimpfte.

Markig behauptete z. B. Bayerns Ministerpräsident Markus Söder auf Twitter am 18. November, die 7-Tage-Inzidenz betrage bei Geimpften 110 pro 100.000, bei Ungeimpften dagegen 1.469 pro 100.000. Aber ist das wirklich so? Als „Pandemie der Unwissenheit“ bezeichnete Tim Röhn am 3. Dezember 2021 in der WELT diesen Zustand. Denn „jene Behörde, die diese Daten erfasst, das Landesamt für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit (LGL), kennt offenbar oft gar nicht den Impfstatus der Infizierten. Auf Anfrage von WELT teilte ein Sprecher beispielhaft für die Woche vor dem 24. November mit, in dieser Zeit seien insgesamt 81.782 Corona-Fälle gemeldet worden – 9.641 Personen davon hatten einen vollständigen Impfschutz, 14.652 keinen. In 57.489 Fällen sei der Impfstatus ‚unbekannt‘. Statt eben jene Fälle herauszurechnen, packte die Behörde diese in die Gruppe der Ungeimpften und wies auf Basis dieser Zählung die Geimpften- und Ungeimpften-Inzidenz aus; bis heute hat sich an diesem Vorgehen nichts geändert. Auch spielt die Testanzahl in den verschiedenen Gruppen keine Rolle.“ Auch das RKI kenne in der Mehrzahl der Fälle den Impfstatus der Intensiv-Patient:innen nicht.

„Dieser Corona-Blindflug ist ein Versagen erster Güte“, kommentierte Anette Dowideit, Ressortleiterin Investigativteam, in der WELT. Die Behörde habe sich nicht etwa dafür entschuldigt, „mit einem derart wichtigen politischen Indikator so lax umgegangen zu sein. Im Gegenteil: Behörden-Chef Walter Jonas verkündete, die Vorwürfe seien ‚absolut abwegig‘ – und man bleibe bei der Vorgehensweise. Bayerns Gesundheitsminister Klaus Holetschek (CSU) legte nun bei einer Pressekonferenz nach: Die so ermittelten Zahlen seien ‚sehr nah an den tatsächlichen Daten‘. Wie nah sie im Rückblick lagen, beantwortete das Amt auf Nachfrage aber nicht. Eine Behörde agiert offenbar im Corona-Blindflug.“

Das erscheint umso bemerkenswerter, als sich die Behörde weiterhin weigert, die Zahlen offenzulegen, wie die WELT, die besonders hartnäckig an der Sache dranblieb, berichtet. Warum, bleibt unklar.

Bayern steht mit diesem manipulativen Daten-Chaos jedoch nicht allein. Auch Hamburg operiert mit grob falschen Zahlen, wie wiederum Tim Röhn in der WELT enthüllt. Über Monate hinweg hatte Hamburgs Erster Bürgermeister Peter Tschentscher, von Beruf Laborarzt, behauptet, 90 Prozent der Corona-Infizierten seien nicht geimpft. Darauf beruhte u.a. das von ihm eingeführte strenge 2G-System. Die Zahlen, die Hamburgs Sozialbehörde (eine eigene Gesundheitsbehörde wurde mit der letzten Wahl von der SPD abgeschafft) jetzt aufgrund einer Kleinen Anfrage der FDP herausrücken musste, zeichnen ein anderes Bild. Seit Ende August ist der Impfstatus immer weniger bekannt, aber alle diese Fälle mit unbekanntem Impfstatus werden den Ungeimpften zugeschlagen. Bei den Zahlen der Kalenderwoche 45 (8.-14.11.), über die Tschentscher sagte, in 90 Prozent der Fälle seien Ungeimpfte infiziert, war der Impfstatus bei 63,2 Prozent unbekannt. 22,5 Prozent waren geimpft, 14,3 Prozent sicher ungeimpft. Statt 90 Prozent also nur 14,3 Prozent …

Inzwischen bedauert Tschentscher die „Verunsicherungen“ durch die falsche Impfstatistik, wie die WELT meldet: „Er habe die Öffentlichkeit jedoch ‚auf keinen Fall‘ belogen. Auch seien die Maßnahmen in Hamburg nicht auf diese Zahlen zurückgegangen.“

Auch bei den Zahlen der Krankenhäuser gibt es große Lücken in der Datenerfassung, wie der NDR berichtet. Bei mindestens einem Drittel aller Krankenhaus-Patientinnen und -Patienten könne der Impfstatus nicht angegeben werden: „Diese Tatsache ist dramatisch, denn die Krankenhäuser sind laut Senat seit Mitte Juli bereits dazu verpflichtet, die Zahlen zu erheben und zu melden.“

Dazu Wolfgang Kubicki, den die WELT am SONNTAG um eine Stellungnahme gebeten hatte: „‘Es ist unfassbar und für das Vertrauen in die Lauterkeit staatlichen Handelns eine Katastrophe, wenn eine Landesregierung ganz offensichtlich manipulierte Zahlen vorlegt.‘ Bürgermeister Tschentscher werde sich gegenüber dem Parlament erklären müssen und sagen, ‚warum der Hamburger Senat es für nötig hält, seine Bürgerinnen und Bürger mit solchen Tricks zu hintergehen.‘“

Und noch einmal ein Kommentar von Anette Dowideit: „Die Stimmung im Land wird von Woche zu Woche angespannter. In Sachsen und anderswo gehen Menschen auf die Straße, weil sie die Corona-Politik nicht länger akzeptieren wollen. Und auch in der großen Gruppe all jener, die sich mit den pandemiebedingten Einschränkungen arrangieren, macht sich Wut breit: über Politiker, die zu oft uninformiert darüber sind, wie ernst die Corona-Lage denn nun genau ist, woher die Ansteckungen konkret kommen – und darüber, dass auf Basis teilweise ahnungsloser Entscheidungen Freiheitsrechte eingeschränkt werden.“ Zudem habe Karl Lauterbach als neuer Gesundheitsminister aufgrund seiner Impfstoff-Inventur „ein Schreckensszenario“ gemalt, zu dem die klare Datenlage fehle, wie die WELT am 16. Dezember berichtet, so dass es sich eher um Panikmache als berechtigte Sorge handeln könne. Beide Beispiele zeigen, so Dowideit, „wie ungeschickt die Politik in dieser Pandemie oft reagiert. Wer auf Basis solchen Zahlensalats argumentiert und Maßnahmen verabschiedet, macht sich nicht nur selbst angreifbar – sondern facht die ohnehin aufgebrachte Stimmung im Land unnötig weiter an.“

Nicht minder problematisch erscheint die Äußerung von Bundeskanzler Olaf Scholz, der sowohl in einem Interview mit der BILD am Sonntag als auch jetzt in seiner Regierungserklärung davon sprach, bei der Corona-Bekämpfung dürfe es „keine roten Linien geben“, das habe uns „diese Pandemie nun wirklich gezeigt. (...) Wir müssen immer bereit sein umzudenken, wenn die Umstände es erfordern.“ Dann müsse man „schnell und entschlossen handeln".

Der Schriftsteller und Kolumnist Hendryk M. Broder meint dazu in einem Video-Interview mit der WELT: „Mir ist daraufhin richtig kalt geworden. Was sind rote Linien? Was meint der Kanzler mit roten Linien? Das ist ja noch alberner als Frau Merkels ‚Wir schaffen das‘. Sie werden sehen, diese roten Linien werden ihn so verfolgen wie Frau Merkels ‚Wir schaffen das‘. Das wird das neue Unwort. Ich war richtig entsetzt. Es gibt ja rote Linien in diesem Land. Es gibt Gesetze und Vorschriften, die meisten sind auch vernünftig und werden auch angewandt. Es ist nicht alles perfekt, aber es gibt rote Linien. Welche roten Linien meint er? Und er bezog sich auf die Impfverweigerer und die Ungeimpften. Mir klang das ein bisschen wie Kaiser Wilhelm, der mal gesagt hat: ‚Ich kenne keine Parteien mehr, ich kenne nur noch Deutsche.‘ Und die Scholz-Fassung wäre: ‚Ich kenne keine Geimpften oder Ungeimpften, ich kenne nur Untertanen.‘“

Zu der Äußerung von Scholz, Deutschland sei nicht gespalten, er verstehe sich auch als „Kanzler der Ungeimpften“, kommentiert Broder: „Er begibt sich da auf ganz dünnes Eis. Übrigens gibt es sehr widersprüchliche Zahlenangaben über die Zahl der Ungeimpften. Das schwankt zwischen 12 und 24 Millionen. Erinnern Sie sich noch, mit wieviel Stimmen Scholz zum Kanzler gewählt wurde? Es waren 25 Prozent, aber im Ganzen waren es 12 Millionen. Und es gibt vermutlich auch mindestens 12 Millionen Ungeimpfte. Und ich frage mich, ob es irgendwelche Überschneidungen zwischen diesen beiden Gruppierungen gibt, SPD-Wähler und Ungeimpfte. Ich fand das brutal: ‚auch Kanzler der Ungeimpften‘. Wenn mir jemand versichern würde, dass er ‚auch mein Kanzler‘ ist, dann würde ich anfangen zu packen und mir anschauen, wohin die nächsten Flüge gehen.“

Scholz solle besser „ein bisschen mehr Verständnis haben für Leute, die nicht so ticken wie er. Ich könnte auch sagen, er könnte vielleicht mit der deutschen Tradition aufhören, die Wirklichkeit nach seinen Wünschen zurechtzubiegen. Er hat z. B. gesagt: ‚Das ist kein gespaltenes Land, die Mehrheit benimmt sich vernünftig.‘ Ich möchte keinen Kanzler haben, der über die Vernunft und die Verbindung von Vernunft und Mehrheit entscheidet. Es gab schon Mehrheiten, die extrem unvernünftig waren, und es waren trotzdem Mehrheiten.“

Scholz‘ Interview hat auch in der NZZ Erstaunen hervorgerufen. Olaf Scholz versuche gar nicht erst, Impfunwillige zu überzeugen. Er verlasse sich auf deren Obrigkeitsglauben. Aus seinen Äußerungen spreche „der für deutsche Regierungspolitiker charakteristische Paternalismus: Olaf Scholz schützt auch die Ungeimpften; und dies, obwohl sich diese aus Sicht der Regierung so unvernünftig verhalten. Generös. (…) Schon wenige Zeilen weiter unten droht der Kanzler den Leuten mit einer Impfpflicht, die er im Wahlkampf noch ausgeschlossen hatte. Er werde für die Impfpflicht stimmen, ‚weil sie rechtlich zulässig und moralisch richtig ist‘. Aber wie lässt sich das realisieren und überprüfen? Eine strenge Kontrolle scheint gemäß Scholz gar nicht nötig zu sein: ‚Wir sind ein Land, in dem sich die allermeisten an die Gesetze halten. Wir halten vor roten Ampeln an. Wir achten die Verkehrsregeln. Nicht, weil uns überall gleich die Polizei kontrolliert. Sondern weil es zu unserer Natur gehört, dass wir uns an solche Regeln halten.‘ (…) Anstatt Ungeimpfte von einer Impfung zu überzeugen, erklärt die deutsche Politik sie zum Problem. Diese katastrophale Kommunikation hat die Impfskeptiker wohl nicht gerade zu einer Impfung motiviert.“

Harsche Kritik auch von WELT-Autorin Anna Schneider: „In einer freien Gesellschaft kann der Wert Gesundheit auf Dauer nicht den Wert Freiheit überschatten, das ist meine Meinung. Dass andere ein eher strategisches Verhältnis zur Freiheit haben und versuchen, dieses allen anderen überzustülpen, empfinde ich nicht nur als Anmaßung, sondern als Relativierung dieses zentralsten Guts. (…) Es gibt keine roten Linien? Was für eine Ansage. Nur zur Erinnerung: Die rote Linie, die unerwähnt blieb – und auf die Scholz übrigens seinen Amtseid geschworen hat – ist das Grundgesetz. Jeder Rechtsstaat kennt rote Linien, sonst wäre es kein Rechtsstaat. Umso befremdlicher ist es, dass Scholz diesen unsäglichen Satz sogar wiederholen kann, ohne dass ihm ernsthaft jemand widerspricht. Dadurch erweckt er den Eindruck, er meint es offenbar ernst. Mich zumindest gruselt das. Aber es sind ja auch gruselige Zeiten, in denen das Bundesverfassungsgericht mit seiner jüngsten Entscheidung dazu beitrug, dass unter den regierenden Politikern ein Anything-goes-Gefühl herrscht, was freiheitsbeschränkende Corona-Maßnahmen angeht. Darauf kann Scholz nun bestens aufbauen.“

Tatsächlich hat das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) mit seinem Urteil zur „Bundesnotbremse“ der Bundesregierung gewissermaßen einen Freifahrtschein ausgestellt – wenn die Anordnungen durch Expertenwissen abgesichert sind, kann sie Grundrechte künftig außer Kraft setzen, so die Kurzversion des Urteils. Unter der Überschrift „Der Rückzug der Verfassungshüter“ schreibt Volker Boehme-Neßler, Professor für öffentliches Recht an der Carl von Ossietzky-Universität Oldenburg, in einem Gastbeitrag für die ZEIT: „Die Richter in Karlsruhe lassen der Politik freie Hand bei den Corona-Maßnahmen. (…) Ist Karlsruhe immer noch der Hüter der Verfassung, gerade auch in der schweren Krise? Die heutigen Entscheidungen lassen daran zweifeln. Karlsruhe ist nicht nur ein Gericht wie jedes andere. Das Verfassungsgericht ist auch ein politischer Player. (…) Corona hat Gräben in der deutschen Gesellschaft aufgerissen und vertieft. Mit dieser Entscheidung zur Bundesnotbremse schafft es Karlsruhe nicht, diese Gräben zu überwinden und die Gesellschaft zu befrieden. Es fokussiert sich einseitig auf die großen Gefahren der Pandemie. Die ebenso großen Gefahren, die mit einschneidenden und lang wirkenden Grundrechtseingriffen verbunden sind, verliert es aus dem Blick. Das ist fatal. Denn die Grundrechte schützen die Freiheit, ohne die eine Demokratie nicht denkbar ist. Ist Freiheit einmal verloren gegangen, wird es schwierig, sie zurückzuerobern.“

„Im Zweifel für die Regierung“, meint Benjamin Stibi, der selbst in drei Verfahren Beschwerde beim BVerfG eingelegt hatte, im Blog „Junge Wissenschaft im öffentlichen Recht“: „Die heute veröffentlichten Beschlüsse zur Bundesnotbremse sind auch ein Schlag ins Gesicht für alle, die sich in den letzten eineinhalb Jahren um den Rechtsstaat bemüht gemacht haben. (…) Dass es das Bundesverfassungsgericht kein einziges Mal in der Pandemie geschafft hat, der angstgetriebenen Corona-Politik Einhalt zu gebieten und erneut unkritisch die Regierungslinie übernommen hat, bedeutet ein historisches Versagen. Man kann es nicht anders ausdrücken: Das Virus hat den Rechtsstaat infiziert.“

Heribert Prantl, Kolumnist der Süddeutschen Zeitung und selbst Jurist, bewertet in einem Interview mit der Berliner Zeitung den Satz von Olaf Scholz, es dürfe keine roten Linien mehr geben, wie folgt: „Meine Großmutter hatte für solche Blindheit ein altes Sprichwort parat: ‚Wenn das Aug’ nicht sehen will, helfen weder Licht noch Brill’.‘ Olaf Scholz hat mit seinem Satz eine rote Linie überschritten. Sein Koalitionsvertrag ist mit dem Satz ‚Mehr Fortschritt wagen‘ überschrieben. Es ist nun ein seltsamer Fortschritt, Grundrechte kleinzumachen. Die roten Linien, die es angeblich nicht mehr gibt, zieht das Grundgesetz. Das ist so und das bleibt so, auch wenn sogar das Bundesverfassungsgericht so tut, als sähe es sie nicht.“ Prantls Einschätzung der Beschlüsse des BVerfG zur Bundesnotbremse: „Ich war – in dieser Reihenfolge: ungläubig, empört, zornig. Es ist ein peinliches Urteil. (…) [Die Beschlüsse] sind dürftig in ihrer Begründung. Sie sind oberflächlich in der juristischen Argumentation. Sie sind gefährlich in der Reduzierung des Rechtsschutzes. Und sie sind feige in ihrer Grundhaltung. (…) Es ist ein peinliches Urteil. Wenn man das Bundesverfassungsgericht so schätzt, wie ich es tue, weil es sich große und größte Verdienste erworben hat – dann hat man ein Fremdscham-Gefühl. Ich habe mich gefragt, wo die intellektuelle Kraft dieses Gerichts geblieben ist. (…) Die Beschlüsse laufen auf den falschen Satz hinaus, dass Not kein Gebot kennt.“

Prompt kündigte Olaf Scholz einen Tag nach dem Urteil an, er werde eine allgemeine Impfpflicht einführen – obwohl dies von allen Politiker:innen bislang kategorisch und unter Abgabe von Ehrenworten ausgeschlossen wurde.

In einem Interview mit Cicero online sagt die Fachanwältin für Strafrecht Jessica Hamed am 4. Dezember dazu, das Bundesverfassungsgericht habe „den politisch Verantwortlichen nunmehr abschließend das Signal gegeben, dass es für ihr Handeln in Sachen Corona letztlich keine ernstzunehmenden rechtlichen Grenzen gibt. Zugespitzt kann man sagen, die Grenze ist erst überschritten, wenn die Regierung vertritt, dass die Erde eine Scheibe ist. Sprich: Alles, was nicht offensichtlich unvertretbar ist, ist von der Einschätzungsprärogative gedeckt.“ Die Entscheidung sei „im Ergebnis ein Persilschein für eine hemmungs- und grenzenlose Corona-Politik. (…) Ich befürchte: Wenn es die Impfpflicht erstmal ins Gesetz geschafft hat, wird man sie nicht mehr so schnell aufheben, das heißt, es wäre mit regelmäßigen verpflichtenden Impfungen alle sechs Monate auf Jahre oder Jahrzehnte zu rechnen.“

Dass die Impfung allein nicht den Ausweg aus der Pandemie darstellen kann, fasst Stefan Aust, Herausgeber von WELT N24, in einem Videobeitrag ruhig und prägnant zusammen. Sein Fazit: „Es setzt sich eine gewisse Skepsis gegenüber den Maßnahmen der Regierung durch. Die Pandemie ist gefährlich, aber wir können nicht ewig in diesem Notfallmodus weitermachen." Die Politik habe die Neigung, erst einmal möglichst viel Panik zu machen. Das sorge dafür, dass „die Leute einem nicht mehr so richtig glauben"

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