Es war wieder mal die BILD, die als erste wusste, dass der Fußball-Nationalspieler Joshua Kimmich vom FC Bayern München nicht gegen Corona geimpft ist, wie die SZ berichtet. In einem Interview mit dem Fernsehsender Sky nach dem Bundesliga-Spiel am 23. Oktober hatte er das dann auch offiziell bestätigt. Deshalb sei er weder Corona-Leugner noch Impfgegner, er halte sich auch an die Hygieneregeln und teste sich regelmäßig. Er habe einfach „persönlich noch ein paar Bedenken, gerade was fehlende Langzeitstudien betrifft“. Dass er sich später noch impfen lasse, schloss er nicht aus.

Kimmich trat damit eine Lawine an Kommentaren los, die allesamt zum Ziel hatten, den vorbildlichen Fußball-Star zu demontieren, unglaubwürdig zu machen, in die Ecke zu stellen, zu erziehen, zu ermahnen, zu umschmeicheln – in jedem Fall aber: zum Impfen zu bewegen. Hier eine kleine Auswahl: „Als Botschaft fatal“ schrieb die SZ, er sei ein „Trittbrettfahrer“ und agiere „auf Kosten seiner Teamkollegen – denn wenn er positiv ist, muss er 14 Tage lang in Quarantäne“ und vor einem schweren Verlauf sei auch er nicht gefeit; „Es ist nicht gut, dass er nicht geimpft ist“, monierte Karl Lauterbach im SPIEGEL; „Es wäre besser, wenn Kimmich geimpft wäre“, zitiert die WELT den früheren Bayern München-Chef und Nationalspieler Karl-Heinz Rummenigge. Fußball-Legende Paul Breitner hat „null Verständnis“ für Kimmich, schreibt der SPIEGEL: „Für mich gibt es nur die Richtung, sich impfen zu lassen.“ Und interpretierte gleich noch die Äußerung von Fußball-Trainer Jürgen Klopp, der gesagt hatte, die Verweigerung der Corona-Impfung sei wie sich alkoholisiert ans Steuer zu setzen: „Er meinte damit und hätte vielleicht auch sagen können: Sich nicht impfen zu lassen ist potenzielle, vorsätzliche Körperverletzung.“ Der Deutschlandfunk kommentiert: „Statt Vorbild für eine solidarische Jugend zu sein“, habe Kimmich „sich für die Seite der Wissenschaftsleugner entschieden“. Er stehe „im Kulturkampf ums Impfen auf der falschen Seite“. Und der frühere Chefredakteur und Leiter des ARD-Hauptstadtstudios Berlin Ulrich Deppendorf schreibt auf Twitter: „Warum spielt der ungeimpfte Joshua Kimmich eigentlich noch in der Mannschaft von Bayern München? Bis zur Impfung sollte er nicht mehr aufgestellt werden. Was ist den Bayern-Verantwortlichen wichtiger, Vorbild oder Profit? Eher wohl letzteres.“

Auch die Politik mischte sich ein. Bundestagspräsidentin Bärbel Bas bot Kimmich an, sich mal auf einen Kaffee zu treffen, damit sie ihm persönlich sagen könne: „Trotz millionenfacher Impfungen gibt es keine Hinweise, die auf Langzeitschäden hindeuten.“ Kimmich sei „schlecht beraten“ worden und „einer Falschinformation aufgesessen“, sagte Ethikrats-Vorsitzende Alena Buyx dem ZDF. Skeptiker könnten seine Aussagen benutzen, um „Zweifel über die Impfung zu streuen“. Es sei ein „Irrglaube“, dass es nach einer Corona-Impfung zu Langzeitfolgen kommen könne. Und: „Die Pandemie ist noch nicht vorbei und Kimmich als jemand, der im Rampenlicht steht, ist dabei wichtig.“ Sollte er sich doch impfen lassen, könne das „einen Ruck geben“. Kimmich war Thema auf der Bundespressekonferenz, und selbst Angela Merkel persönlich fühlte sich berufen, etwas zur Causa Kimmich zu sagen. Im Rahmen eines Interviews mit der FAZ meinte sie, es gebe „ja sehr gute Sachargumente, die allgemein verfügbar sind. Vielleicht macht sich Joshua Kimmich darüber ja auch noch Gedanken.“

Zum wichtigsten Argument Kimmichs – fehlende Langzeitstudien – fahren die Medien als Gegenpart namhafte Wissenschaftler auf. Die SZ zitiert den Chef des Paul Ehrlich-Instituts (PEI) Klaus Cichutek, der sagt, dass „Langzeitnebenwirkungen, die erst nach Jahren auftreten, bei Impfstoffen generell nicht bekannt“ sind. Obwohl bei den Corona-Impfstoffen naturgemäß Langzeitdaten fehlen, seien „Langzeitfolgen nicht zu befürchten“, meint das Nachrichtenportal t-online.de, denn, so PEI-Sprecherin Susanne Stöcker, „häufig werde mit ‚Langzeitfolgen‘ bezeichnet, was eigentlich sehr seltene Nebenwirkungen seien.“ Und im ZDF-Interview legte Stöcker noch nach: „Langzeitnebenwirkungen, die erst nach Jahren auftreten, sind bei Impfstoffen generell nicht bekannt.“ Kimmichs Annahme beruhe „auf einem Missverständnis“ schreibt der SPIEGEL und zitiert noch einmal Cichutek: Man wisse „aus jahrzehntelanger Erfahrung, dass die meisten Nebenwirkungen innerhalb von Stunden oder Tagen auftreten“. Und holt zusätzlich noch den Würzburger Virologen Lars Dölken mit ins Boot, der sagt: „Alles, was jetzt noch entdeckt werden sollte, muss wirklich extrem selten sein und spielt im Vergleich zu den Risiken von Corona einfach keine Rolle. (…) Von den mRNA-Impfstoffen von Biontech und Moderna ist sechs Monate nach Impfung ganz sicher kein einziges Molekül mehr im Körper vorhanden. Probleme durch die Impfung, die dann noch neu auftreten, wären also quasi homöopathische Nebenwirkungen.“ In der WELT kommt der Generalsekretär der Deutschen Gesellschaft für Immunologie, Carsten Watzl, zu Wort: „Was offensichtlich viele Menschen unter Langzeitfolgen verstehen, nämlich dass heute geimpft werde und nächstes Jahr eine Nebenwirkung auftritt, das gibt es nicht, hat es noch nie gegeben und wird auch bei der Covid-19-Impfung nicht auftreten.“ Vielleicht sollten sie alle erst einmal das Video des Kinder- und Jugendarztes und ausgewiesenen Impfexperten Steffen Rabe anschauen: „Langzeitnebenwirkungen – ein Einwurf vom Spielfeldrand“.

Eines der wenigen Medien, die Öl auf die Wogen der Empörung gossen, war wieder mal die NZZ. Marc Felix Serrao, Chefredakteur der NZZ Deutschland, kommentierte dort über den Wandel von Kimmich vom Vorbild zum „nationalen Sorgenkind“: „Es ist wichtig, was Virologen und Pharmakologen über die Corona-Impfung sagen. Es ist egal, was der Fußballspieler Kimmich dazu sagt. (…) Schlecht beraten sind politisch bestellte Ethik-Erklärer und Regierungssprecher, die sich anmaßen, Privatpersonen für privateste Entscheidungen öffentlich zu rüffeln.“

Anna Schneider kommentiert in der WELT: „Was sich dieser Tage rund um die Entscheidung des Fußball-Nationalspielers Joshua Kimmich, sich (noch) nicht impfen zu lassen, in der öffentlichen Debatte abgespielt hat, ist gelinde gesagt unerträglich. Der Körper eines Menschen gehört niemandem außer diesem selbst. Diese Linie ist dunkelrot. Um es mit Jesus zu sagen: noli me tangere. Oder auch: Fass mich nicht an. (…) Das Ablehnen der individuellen Freiheit in diesem Zusammenhang und das Heraufbeschwören des pseudo-erhabenen Begriffs der Haltung ist sogar noch ein bisschen falscher als der Rest, denn nichts kann die individuelle Freiheit mehr betreffen als ein körperlicher Eingriff, nichts ist an dieser Stelle unpassender als die Moralkeule der Haltung zu schwingen, um mündige Entscheidungen abzuqualifizieren und so ins Abseits zu stellen. (…) Das Private ist eben nicht politisch, das Private ist privat, sonst bedürfte es auch keiner unterschiedlichen Begriffe. Wer das negiert, übersieht zwangsläufig, dass diese Politisierung der innersten Privatsphäre einzelner Bürger eine Lust an der Übergriffigkeit von Seiten des Staates und Teilen der Gesellschaft offenbart, die einer liberalen Demokratie unwürdig ist.“

Die Berliner Zeitung machte zu dem Thema ein ausführliches Pro und Contra. Darin meint Milosz Matuschek: „Joshua Kimmich steht am Pranger wie im Mittelalter!“: „Was hier an Kimmich durchexerziert wird, ist verachtenswert und widerlich. Es ist der nächste Tiefpunkt eines freidrehenden Covid-Kultes, der sich als ‚Team Vorsicht‘ tarnt und ein kollektives Gruppenkuscheln als Gesundheitsschutz ausgibt.“ Demgegenüber sagt Sören Kittel: „Regt Euch ab: Joshua Kimmich steht nicht am Pranger, er soll bloß nachdenken“: „Niemand wird hier ‚gecancelt‘. Im Gegenteil, hier wird viel zu viel Platz eingeräumt für eine Position, die mit falschen Zahlen arbeitet, aber mit Ängsten spielt. (…) Er (Kimmich) wolle nur Fragen stellen, heißt es. Er hat nun Antwort bekommen – und sollte danach handeln.“

Aber Kimmich steht nicht allein im Kreuzfeuer. Jede:r Prominente, die/der sich dazu bekennt, mit dem Impfen erstmal noch abwarten zu wollen, wird heftig in die Mangel genommen. Das musste jüngst Sahra Wagenknecht erfahren, die bei Anne Will saß und sich nicht gegen das Impfen aussprach, aber doch für sich in Anspruch nahm, sich erstmal nicht impfen zu lassen – jedenfalls nicht mit einem der Impfstoffe, die bisher zur Verfügung stehen. Das musste auch Richard David Precht erleben, der in seinem (übrigens sehr hörenswerten) Podcast mit Markus Lanz bekannt hatte, er würde „Kinder niemals impfen lassen“ (gemeint war nur die Impfung gegen Covid-19): „Ein im Aufbau befindliches Immunsystem mit diesem Impfstoff zu bearbeiten – das würde ich nicht tun. Der Staat habe kein Recht, eine Impfung einzufordern. Jeder müsse das selbst entscheiden können, „ohne dass ein gesellschaftlicher Druck aufgebaut wird. (…) Es ist nicht Aufgabe des Staates, jedermanns Krankheitsrisiko auszuschließen.“ Das verleitete Marco Evers, Redakteur im Wissenschaftsressort des SPIEGEL zu der Frage: „Wer ist Dr. Wirrkopf und wenn ja, wie viele wirklich?“ (in Anspielung auf Prechts Bestseller „Wer bin ich und wenn ja, wie viele?“). Precht sei „intellektuell abgestürzt und schwadroniert nun beim Coronathema auf ‚Querdenker‘-Niveau. Weil viele Menschen ihn für klug halten, ist das eine Gefahr.“ Der „fesche TV-Star“ und „intellektuelle Scheinriese“ erzähle „inzwischen gedanklich ungefilterten Unsinn, der nicht nur ärgerlich sein kann, sondern sogar gefährlich.“

Dagegen wendet sich die WELT und schreibt: Noch sei die Meinungsfreiheit gegeben – solange sowohl Wagenknecht als auch Kimmich und Precht sich überhaupt offen äußern können, herrsche Meinungsvielfalt. Aber man müsse sogleich hinzufügen: „Noch ist das so. Die Meinungsfreiheit, auch das zeigen die letzten Tage, ist in Gefahr wie nie zuvor. (…) Das Problem ist, dass in diesen Diskussionen immer unverhohlener gefordert wird, Meinungen, die einer Corona-Schutzimpfung in irgendeiner Weise kritisch gegenüberstehen, aus der öffentlichen Diskussion auszuschließen. Kai Gehring, grüner Bundestagsabgeordneter, fragt etwa nach einer angeblichen Mitverantwortung von Anne Will, weil sie ‚Wagenknecht wieder mal ein Forum in ihrer Sendung bietet‘ und selbst die FDP-Landtagsabgeordnete Franziska Müller-Rech fragt: ‚Warum kriegt Sahra #Wagenknecht bei @AnneWillTalk so viel Schwurbelbühne?!‘ (…) Für die Meinungsfreiheit ist wichtig, dass jede Meinung geäußert werden kann, egal, wie gut sie mit wissenschaftlichen Fakten übereinstimmt. Wissenschaft muss mit Argumenten und Beobachtungen überzeugen, sie darf nicht als Waffe zum Ausschluss abweichender Ansichten missbraucht werden.“

Auch Paul Ronzheimer forderte in der BILD: „Schluss mit dem Impf-Mobbing!“ Es müsse „einem angst und bange werden um die Meinungsfreiheit in Deutschland“: „Wer Kimmich, Precht oder Wagenknecht in den sozialen Medien verteidigt, wird als Impf-Gegner und Corona-Leugner beschimpft. Jeder muss sich vorm Mob rechtfertigen, ob er selbst denn geimpft sei (ja, bin ich – und jetzt?). (…) Die Ampel-Parteien stellen zwar noch nicht die Regierung, haben aber die Mehrheit im Bundestag. Sie müssen die Diskriminierung der Ungeimpften beenden, die aus dem Kanzleramt betrieben wird.“

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