Vermehrt gibt es in letzter Zeit Berichte über Impfdurchbrüche, das heißt: Auch Geimpfte können an Corona erkranken. Seit Beginn der Impfungen seien es laut Robert Koch Institut (RKI) bereits über 10.000 solche Impfdurchbrüche, wie RND berichtet. Allerdings mussten deshalb nur zwei Prozent der unter 60-Jährigen und jeder vierte der Älteren deshalb ins Krankenhaus. Das RKI fordert deshalb, auch bei Geimpften im Verdachtsfall einen PCR-Test zu machen.

Nichtsdestotrotz hat die amerikanische Arzneimittelbehörde Food and Drug Administration (FDA) inzwischen dem BioNTech/Pfizer-Impfstoff als erstem die volle Zulassung erteilt. Peter Doshi, Mitherausgeber des angesehenen Fachblatts British Medical Journal, sieht das mit großer Skepsis. In einem Editorial am 23. August schreibt er: „Meint die FDA, dass diese Daten die erste vollständige Zulassung eines Covid-19-Impfstoffs rechtfertigen?“ Die FDA sollte besser erstmal angemessene, kontrollierte Studien mit langfristiger Nachbeobachtung fordern und die Daten öffentlich zugänglich machen. Solche Studien fehlen nämlich bislang. Zu viele Fragen zu den Impfstoffen seien weiterhin offen, als dass man ihnen schon jetzt eine offizielle Zulassung derart überstürzt erteilen könne: „Slow down and get the science right“ (frei übersetzt: macht mal halblang und erledigt erstmal eure wissenschaftlichen Hausaufgaben).

Inzwischen wird aber schon die nächste Sau durchs Land getrieben: Noch ohne dass die STIKO sich dazu geäußert hat, haben die Gesundheitsminister von Bund und Ländern am 6. September bereits eine Auffrisch-Impfung für die über 60-Jährigen beschlossen, wie Business Insider berichtet. „Für diese Altersgruppe ist das Risiko einer Covid-19-Erkrankung signifikant erhöht, entsprechend gibt es für den Nutzen einer vorsorglichen Auffrischimpfung eine hinreichend belegte Evidenz“, heißt es in dem Beschlussentwurf. Auch die Bewohner und das Personal in Pflege- und Gesundheitseinrichtungen sollen ein Angebot für eine dritte Impfung erhalten. In der STIKO gebe es derzeit „eine hitzige Debatte“ über die Frage, wann und für wen eine dritte Impfung überhaupt nötig sein könnte.

Denn so klar ist das mit der Evidenz keineswegs. „Hier handelt es sich um eine politische Vorsorgemaßnahme ohne ausreichende medizinische Evidenz“ sagte der STIKO-Vorsitzende Thomas Mertens, wie das Deutsche Ärzteblatt berichtet, und weiß sich damit auch mit den Laborärzten einig. „Der Aktionismus der Politik verunsichert die Menschen.“ Es gebe bisher kaum wissenschaftliche Daten zu möglichen Nebenwirkungen von Drittimpfungen: „Es fehlt eine große Studie, aus der tatsächlich hervorgeht, dass die Drittimpfung bei den betroffenen Personen keine Nebenwirkungen hat.“

In Berlin, Hessen, Thüringen und ebenso in Nordrhein-Westfalen haben die Booster-Impfungen dennoch bereits begonnen, schreibt das Deutsche Ärzteblatt. Dass das so problemlos nicht zu sein scheint, zeigen die Erfahrungen aus einem Seniorenheim in Oberhausen, über die der WDR berichtet. Drei Bewohner des Altenheims mussten wenige Tage nach der Auffrischimpfung wiederbelebt werden, weshalb der Vorstand der Kreisstelle der Kassenärztlichen Vereinigung Nordrhein die niedergelassenen Ärzt:innen über die Vorfälle unterrichtet hat. In dem Schreiben heißt es: „Ich würde Sie bitten, selber ärztlich zu entscheiden, ob Sie auf eine Empfehlung durch die STIKO bzw. EMA warten, oder ob die dritten Impfungen nun zeitlich bei Ihren eigenen Patienten so dringlich sind, dass Sie diese ohne Empfehlung durchführen müssen.“ Das Problem wird damit vorerst auf die Schultern der Ärzt:innen verlagert.

Der Präsident der Bundesärztekammer, Klaus Reinhardt, kritisierte Bund und Länder für ihr Vorpreschen scharf, wie das RND meldet: „Nach bisherigem Kenntnisstand und Auffassung namhafter Experten ist sie (die Auffrischimpfung, d. Red.) für die meisten Geimpften nicht sofort nötig.“ Insgesamt fehlen noch aussagekräftige Studien, wann eine Boosterimpfung angezeigt sei. „Ich halte es deshalb für einen Fehler, dass Bund und Ländern in der Breite Auffrischimpfungen angekündigt haben, ohne eine entsprechende Empfehlung der STIKO abzuwarten.“ Von der Politik werde damit bei den Menschen „eine Erwartungshaltung geschürt“, die viele Ärzt:innen „ohne eine wissenschaftlich fundierte Impfempfehlung nicht bedienen wollen“.

Auch Christian Drosten hält die Drittimpfungen derzeit nicht für vordringlich: „Die Schutzwirkung der Corona-Vakzine ist viel besser als beispielsweise bei den Influenza-Wirkstoffen“, sagte er der Deutschen Presseagentur, wie die SZ berichtet. Nur in Sonderfällen sei eine Auffrischung denkbar. Im Herbst komme es darauf an, „überhaupt erst einmal die Impflücken bei den über 60-Jährigen zu schließen“. Drosten rechnet auch nicht damit, dass sich bald schon eine neue Virusvariante zeige, die eine Anpassung des Impfstoffs erforderlich mache.

Derweil haben Pfizer/BioNTech in den USA bereits die Zulassung für die dritte Impfdosis beantragt, wie das Deutsche Ärzteblatt meldet. Pfizer hat die dritte Dosis an 23 (!) Probanden testen lassen, deren zweite Dosis länger als sechs Monate zurücklag. Zwar geht man davon aus, dass der über die Impfung vermittelte Immunschutz nach sechs Monaten deutlich abnimmt, in welchem Maße das passiert, ist jedoch unklar, schreibt die NZZ. Unklar sei auch, wie viele Antikörper überhaupt für einen ausreichenden Impfschutz benötigt werden. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) halte ebenso wie „Ärzte ohne Grenzen“ und weitere Organisationen dritte Impfungen in den Industrieländern zum jetzigen Zeitpunkt für unethisch: „Viele bekämen damit einen Überschutz, während weltweit Millionen Menschen, unter ihnen Vulnerable oder auch Mitarbeiter im Gesundheitswesen, immer noch auf eine erste Impfung warteten.“ Die WHO hat deshalb gefordert, Drittimpfungen bis Ende September auszusetzen, damit bis dahin wenigstens 10 Prozent der Weltbevölkerung geimpft werden können.

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