Der Sommer ist noch nicht vorbei, und in den südlichen Bundesländern haben die Ferien gerade erst begonnen. Hier sind ein paar Tipps zum Sehen, Hören und Lesen – auf der Reise, am Ferienort oder auch einfach zuhause auf dem Sofa! 

 

Zum Sehen

Magische Stimmen
Gerade hat er zusammen mit den Musiker:innen von „musicAeterna“ bei den Salzburger Festspielen mit „Don Giovanni“ Triumphe gefeiert: Teodor Currentzis, der Shootingstar unter den Dirigenten. Der Fernsehsender arte hat ein ganz anderes Kleinod von ihm in der Mediathek, das Labsal ist in diesen unruhigen Zeiten: „Currentzis in der Sainte Chapelle in Paris“ (verfügbar bis 9. November 2021). Dort dirigiert Currentzis zwei von ihm gegründete Chöre: den musicAeterna byzantina und den Kammerchor musicAeterna, die beide vorwiegend a capella singen. Magisch. 

Geheimnisvolles Geflecht unter der Haut
Es ist ein Film, der schon 2017 von arte und ZDF produziert wurde, aber er ist immer noch aktuell und hat nichts von seiner Faszination verloren: „Faszien – geheimnisvolle Welt unter der Haut“ (noch bis 22. August 2021). Er zeigt, dass es sich mitnichten um irgendwelches bindegewebige Hüllmaterial handelt, sondern um ein hochkomplexes Organ, das maßgeblichen Einfluss auf unsere Gesundheit hat.

Monatelange Hängepartie
Die Suche nach einem Therapieplatz kann für psychisch Erkrankte zu einer monatelangen Hängepartie werden. Die Wartelisten für die Aufnahme in eine der einschlägigen Kliniken werden derzeit immer länger. Oft vergeht ein halbes Jahr, bis es endlich soweit ist. Gerade bei psychischen Störungen, bei akuten Erschöpfungszuständen, Depressionen oder Burnout – die alle in Corona-Zeiten massiv zugenommen haben – kommt es aber darauf an, schnell zu handeln. Der MDR hat sich dieses Themas angenommen und mit Betroffenen gesprochen: „Psyche auf der Warteliste – Hängepartie Therapieplatz“ heißt der Film, der noch bis 28. Juli 2022 in der ARD-Mediathek abrufbar ist.

Streiten will gelernt sein
Das österreichische Online Netzwerk oe24 hat ein bemerkenswertes Streitgespräch veranstaltet zwischen dem Polit-Aktivisten Sebastian Bohrn Mena und dem Polit-Blogger Gerald Grosz. Beide vertreten höchst gegensätzliche Positionen zur Corona-Politik in unserem Nachbarland. Das gut einstündige Hickhack wird kaum moderiert, und so gehen die beiden mehr oder weniger gepflegt aufeinander los und werfen sich diverse Unfreundlichkeiten an den Hals. Das ist Realsatire pur.

Etwas gesitteter, aber hart in der Sache geht es bei BILD Live zu, wo der Stellvertretende Chefredakteur Paul Ronzheimer ein gut einstündiges „Corona-Duell“ zwischen Wolfgang Kubicki und Karl Lauterbach moderiert. 

 

Zum Hören

Von den Toten lernen
Klaus Püschel, bis September 2020 Leiter des Instituts für Rechtsmedizin am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf, war der erste, der zu Beginn der Corona-Krise darauf gedrungen hat, die an oder mit Corona Verstorbenen zu obduzieren und setzte sich damit über eine Anordnung des RKI hinweg. Zum Glück, denn auf seine Untersuchungen ist es zurückzuführen, dass rasch erkannt wurde, dass Covid-19 weniger eine Lungen- als eine Herz-Kreislauferkrankung ist, bei der das Gerinnungssystem aktiviert wird, mit der Folge, dass sich häufig Blutgerinnsel bilden, die die Adern blockieren.
Jetzt hat Püschel ein Buch geschrieben, das auch ungekürzt als Hörbuch vorliegt und anschaulich erklärt, warum die Rechtsmedizin der Schlüssel ist, um Krankheitsprozesse richtig zu verstehen und therapeutische Maßnahmen abzuleiten. Das Buch beschäftigt sich bei weitem nicht nur mit Covid-19, widmet dieser Problematik aber einen großen Abschnitt, bei dem nochmal vieles ans Licht kommt, was schon wieder in Vergessenheit geraten ist.
Wie aktuell gerade heute Püschels Plädoyer für die Obduktion immer noch ist, zeigt die oben im Abschnitt „Durchbruch-Infektionen: Geben auch Geimpfte das Virus weiter?“ berichtete Forderung des Heidelberger Pathologen Peter Schirmacher, zeitnah mit einer Covid-Impfung Verstorbene häufiger zu obduzieren. In seinem Buch hält Püschel auch nicht hinterm Berg mit seiner Ansicht, dass der Staat im Rahmen der Corona-Krise zu viel eingreift und zu wenig Vertrauen in die Bürger:innen hat. Für ihn kommt es darauf an, eine gute Balance zu finden zwischen dem Schutz vor Krankheitskeimen einerseits und der Freiheit und den Grundrechten andererseits. Gerade als Hörbuch ist dieses Buch besonders spannend. Und ebenso informativ ein Interview mit ihm auf NDR-Kultur.

Klaus Püschel: Die Toten können uns retten. Wie die Rechtsmedizin hilft, Krankheiten zu erforschen und das Sterben zu verhindern. Quadriga Verlag, 255 Seiten, 20 Euro (Hardcover), 16,99 Euro (Hörbuch).

 

Zum Lesen

Einmal herzhaft lachen …
… können Sie bei der Lektüre dieser nicht ganz ernst gemeinten Meldung auf dem Internet-Portal Univadis über eine „neue eigenständige psychische Erkrankung“: die „Covid-19-isolierte akademische Logorrhoe“ (CIAL), eine Geschwätzigkeit also im Hinblick auf Covid-19.  Sie zeichne sich aus durch „anhaltende Schwierigkeiten, beim Denken, Sprechen oder Schreiben nicht Covid-19 zu erwähnen“ … Die Störung „verursacht klinisch relevanten Stress und beeinträchtigt das soziale und berufliche Leben der Betroffenen, auch ihre Glaubwürdigkeit als Akademiker leidet“ … Uneinsichtige Patienten hätten Wahnvorstellungen und seien „davon überzeugt, dass die störungsbezogene Aktivität trotz gegenteiliger Beweise nicht problematisch ist; und höchstwahrscheinlich sind sie viel zitierte Autoren zum Thema Covid-19“. Ähnlichkeiten mit lebenden Personen scheinen nicht ausgeschlossen …

… und eher was zum Weinen
…ist ein Artikel aus der Neuen Zürcher Zeitung, deren Japan-Korrespondent Remo Geisser über die in diesem Land besonders weit verbreitete Plastiksucht berichtet, die geradezu wahnhafte Blüten treibt: „Lesen Sie diesen Text nicht Ihren Kindern vor!“ Aus Gründen: In japanischen Hotels hängt – natürlich in Plastik verpackt – ein „Überlebenssack“ aus Plastik an der Tür, den man sich im Fall des Falles über den Kopf stülpen soll … Ein gruseliger Text über eine gruselige Entwicklung, die umso gravierender erscheint, als jüngst Heribert Prantl, Kolumnist der Süddeutschen Zeitung, in seinem sonntäglichen Newsletter „Prantls Blick“ apokalyptische Zahlen meldete: „Seit Anfang der 1950er Jahre wurden weltweit neun Milliarden Tonnen Kunststoff hergestellt; über 75 Prozent sind heute Müll. (…) 2050 wird der Kunststoffmüll in den Ozeanen mehr wiegen als alle Fische zusammen. Nach Schätzungen der Umweltorganisation WWF kommen auf einen Quadratkilometer Meer bis zu 46.000 Teile Plastikmüll.“ Auf Platz Nummer 2 der weltgrößten Plastik-Exporteure steht gleich nach den USA übrigens … Deutschland. 

Die Corona-Politik und der Missbrauch der Wissenschaft
Auf die klugen Ausführungen des Wissenschaftsphilosophen Michael Esfeld haben wir schon mehrfach hingewiesen. Jetzt hat er zusammen mit dem Wirtschaftsethiker Christoph Lütge ein sehr lesenswertes Buch herausgebracht, in dem er ein weiteres Mal betont, dass es keine gesicherten Erkenntnisse gibt, mit denen die drastischen Corona-Maßnahmen gerechtfertigt werden könnten. Es sei ein Mythos, wenn behauptet werde, das sei alles evidenzbasiert. Zugleich weist dieses Buch aber auch Wege auf, wie diese und künftige Krisen besser bewältigt werden könnten, und es fordert die Rückkehr zur Freiheit.
Christoph Lütge, Michael Esfeld: Und die Freiheit? Wie die Corona-Politik und der Missbrauch der Wissenschaft unsere offene Gesellschaft bedrohen. Riva Verlag, 128 Seiten, 10 Euro  

Lehren aus 100 Jahren Leben
Benjamin Ferencz wurde 1920 in Transsilvanien geboren, studierte Jura in Harvard und beteiligte sich dann 1944 am D-Day, der Landung der Alliierten in der Normandie. Er war einer der Chefankläger bei den Nürnberger Prozessen und nahm an den Reparationsverhandlungen zwischen der BRD und Israel teil. Es ist ein Leben mit vielen Aufs und Abs und vor allem einem riesigen zivilgesellschaftlichen Engagement, ein Leben, von dem man viel lernen kann. Wie gut, dass Benjamin Ferencz jetzt seine Erfahrungen mit Unterstützung von Nadia Khomami in einem Buch zusammengefasst hat, und wie gut, dass sich schon so viele Menschen dafür interessiert haben – es stand einige Zeit auf der SPIEGEL Bestsellerliste. Sein wichtigstes Fazit lautet – und das erscheint gerade in dieser Zeit besonders wichtig: „Sag immer Deine Wahrheit“.
Benjamin Ferencz: Sag immer Deine Wahrheit. Was mich 100 Jahre Leben gelehrt haben. Heyne Verlag, 160 Seiten, 17 Euro

Von den Bäumen lernen
Als Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz vom Hochwasser heimgesucht wurden, stand unter anderem die Waldwirtschaft am Pranger: Zu viele Fichten, generell zu viel Nadelholz, zu wenig Mischwälder, zu wenig Laubbäume. Ein Laubbaum, so hieß es, könne 50mal mehr Wasser binden als Nadelhölzer. Schon seit der Förster Peter Wohlleben 2015 seinen Bestseller „Das geheime Leben der Bäume“ publizierte, wissen wir, dass Bäume sehr viel mehr sind als Holzlieferanten. Jetzt hat Wohlleben ein neues Buch publiziert, das zeigt, wie sich Bäume an das Klima anpassen können, und in welchem Maße wieder einmal der Mensch den Wald bedroht, der so wichtig ist für eine saubere und gesunde Umwelt. Es zeigt aber auch, was notwendig ist, um das Blatt zu wenden und den rücksichtslosen Raubbau zu stoppen. Wetten, dass das erneut ein Bestseller wird? Auf Platz 23 steht es jetzt schon …
Peter Wohlleben: Der lange Atem der Bäume. Wie Bäume lernen, mit dem Klimawandel umzugehen – und warum der Wald uns retten wird, wenn wir es zulassen. Ludwig Verlag, 256 Seiten, 22 Euro

Die Droge aus dem Arzneischrank
Fentanyl ist ein hochpotentes Schmerzmittel (es wirkt 100mal stärker als Morphin), das weithin eingesetzt wird. So wirksam es gegen schwere Schmerzzustände ist, so gefährlich ist es auch, weil es eine schwere Abhängigkeit auslösen kann – es wirkt 50mal stärker als Heroin, schon 2 Milligramm können tödlich sein. Viele Menschen sind ihm bereits zum Opfer gefallen sind – vor allem in den USA, in Europa, und inzwischen auch in Deutschland. „Fentanyl ist die tödlichste Droge in Amerika“, sagte 2018die amerikanische Gesundheitsbehörde. Mit Fentanyl wird heute im großen Maßstab gedealt. Der Investigativjournalist Ben Westhoff hat die Geschichte dieser Substanz recherchiert und aufgeschrieben. Herausgekommen ist ein erschütterndes Dokument, wie skrupellos ein an sich segensreicher Arzneistoff missbraucht wird. Bei Fentanyl handele es sich, so schreibt Westhoff in seinem Vorwort, „um eine Geschichte über den Amoklauf des globalen Kapitalismus.“ Hochspannend. Hochaktuell.
Ben Westhoff: Fentanyl. Neue Drogenkartelle und die tödliche Welle der Opioidkrise. Hirzel Verlag, 264 Seiten, 28 Euro

Der Mann am Klavier
Er ist bekannt als der Tausendsassa der Tasten: Joja Wendt. Jetzt hat er seine Biographie geschrieben, und es ist spannend zu lesen, wie Joja Wendt trotz eines schweren Unfalls in seiner Jugend, der ihn fast die Beweglichkeit der linken Hand gekostet hätte, zu einem Pianisten der Sonderklasse geworden ist, der ebenso in der Klassik wie im Boogie-Woogie, Blues und Jazz zuhause ist (auf YouTube finden sich zahlreiche Beispiele seiner Virtuosität). Er beschreibt seine Kindheit in der Türkei (der Vater war Arzt), seinen Weg zum Klavier und der Musik, die Zeit in den Clubs und Kneipen Hamburgs mit den Blues-Legenden wie Abi Wallenstein, und wie ihm dann überraschend Joe Cocker die Chance seines Lebens bot … Es ist ein ebenso unterhaltsames wie melancholisches und nachdenkliches Buch über ein spannendes Künstlerleben, das immer von der Aufrichtigkeit zur Musik getragen war und ist.
Joja Wendt: Spiel doch mal leiser! Warum es gut war, dass ich darauf nicht gehört habe. Nullviernull Tonproduktion und Verlag, 248 Seiten, 20 Euro