Gerade hat das Robert Koch Institut „maximale Kontaktbeschränkungen ab sofort und für alle“ empfohlen, geschlossene Restaurants inklusive – was liegt da näher, als es sich über die Feiertage auf dem Sofa gemütlich zu machen, große familiäre Besuchsorgien sind angesichts der Lage und der freiwilligen Selbstbeschränkung ohnehin nicht zu erwarten. Deshalb fallen unsere Kulturtipps dieses Mal etwas umfangreicher aus.

Zum Hören

Fundsache
Im Lockdown haben viele ausgemistet und aufgeräumt – den Dachboden, den Keller, den Schrank, die Kommode. Eine, die das auch gemacht hat, war die Sopranistin Cecilia Bartoli. Sie stieß beim Sichten ihres digitalen Tonarchivs auf einige bisher unveröffentlichte Aufnahmen von Konzertarien, die sie schon im November 2013 in der Schweiz aufgenommen hatte. Und wie das so ist mit der Muße und Ruhe zu Hause … da kommt man auf neue Gedanken. Cecilia Bartoli jedenfalls hat aus ihrer Fundsache eine CD gemacht: „Unreleased“ heißt sie. Eine Kostprobe davon gibt es auf YouTube!

Dazu passt ein Buch, das die fiktive Geschichte der wohl berühmtesten Sängerin aller Zeiten erzählt: Maria Callas (Eva Baronsky: Die Stimme meiner Mutter, Harper Collins Verlag, 400 Seiten, 22 Euro). Der Erzähler ist ihr ungeborener Sohn … und er fühlt sich in die Höhen und Tiefen der Seele seiner Mutter ein, wie nur ein Kind es in Gestalt eines Erwachsenen kann.

Was auf die Ohren …
… gibt Joachim Mischke, Musikwissenschaftler und für Konzertrezensionen verantwortlicher Redakteur beim Hamburger Abendblatt, seit Sommer 2019 mit seinem Podcast „Erstklassisch mit Mischke“. In den vergangenen zwei Jahren war dieser Podcast besonders wertvoll, bot sich mit ihm doch die Möglichkeit, den durch den Lockdown bedingten ausgebremsten Künstler:innen eine Bühne zu bieten. Inzwischen umfasst er 72 Folgen und ebenso unterhaltsame wie aufschlussreiche Gespräche mit namhaften Persönlichkeiten von Anja Silja bis zu Kit Armstrong, Diana Damrau, Christoph Eschenbach, Igor Levit, Hilary Hahn, Anne-Sophie Mutter, Lang Lang, Patricia Kopatchinskaja, Xavier de Maistre, Daniel Hope, Christoph von Dohnanyi, Sir Simon Rattle, Martha Argerich … um nur einige zu nennen.

Die Elbphilharmonie ist seit ihrer Eröffnung gewissermaßen das „Wohnzimmer“ von Mischke geworden – jetzt hat er sein Wissen in einem sehr schön aufgemachten Buch verarbeitet: „Geschichten und Geheimnisse der Elbphilharmonie“ (Verlag Hoffmann & Campe, 176 Seiten, 26 Euro). 

Zum Lesen

„Einseitig, unkritisch, regierungsnah?“
Medienwissenschaftler der Universitäten Mainz und München haben eine „empirische Studie zur Qualität der journalistischen Berichterstattung über die Corona-Pandemie“ erstellt: „Einseitig, unkritisch, regierungsnah?“ lautet die Überschrift. Es ist ein aufschlussreicher Überblick, der nicht nur für Medieninteressierte spannend ist, sondern auch den Finger in so manche Wunde legt.

And the winner is …
… Karl Lauterbach. Niemand war so oft in Talkshows zu sehen in diesem Jahr wie er: sagenhafte 29mal und damit doppelt so oft wie 2020 (und da war er auch schon der Talkshow-König, zusammen mit Peter Altmaier), wie eine Auswertung von MEEDIA zeigt. Auch diese Analyse zeigt, wie die Medien heute funktionieren und wie sie Meinung prägen. Spannend!

Wo sind sie geblieben …?
Schon lange beklagen Naturschützer:innen den zunehmenden Artenschwund, nicht nur bei Insekten, sondern auch und gerade bei Vögeln. Selbst ein so weit verbreiteter Allerweltsvogel wie der Spatz ist inzwischen selten geworden. Heute leben sage und schreibe 600 Millionen Vögel weniger auf dem Gebiet der Europäischen Union als vor 40 Jahren. Das bedeutet einen Verlust von mehr als 40.000 Vögeln pro Tag. Dazu gibt es zwei sehr lesenswerte Artikel: einen in der Süddeutschen Zeitung, einen in der Neuen Zürcher Zeitung (NZZ). Vielleicht besorgen Sie sich anschließend fix ein bisschen Vogelfutter, um die Piepmätze, die noch da sind, anständig durch den Winter zu bringen?

Die Bedeutung der Väter
Unter dem Titel „Vaterland“ hat die NZZ eine höchst lesenswerte Serie aufgelegt, in der zweimal im Monat bekannte Persönlichkeiten anhand eines Fragebogens erzählen, wie die Beziehung zu ihrem Vater ihr Leben geprägt hat. Die Clownin Gardi Hutter ist dabei; Eugene Chaplin, der Sohn des großen Stummfilm-Stars – und viele andere, die hierzulande vielleicht weniger bekannt, aber nichtsdestotrotz interessant sind.

Dazu passt ein Buch, das Benjamin und Andreas Leber gemeinsam verfasst haben: Mit dir. Vater und Sohn auf den Straßen des Lebens (Aufbau Verlag, 248 Seiten, 20 Euro). Die Leberts sind eine bekannte Publizistenfamilie: Ursula Lebert (1931-2009) hat viele Jahre für die Brigitte gearbeitet und ebenso wie ihr Mann, der Autor Norbert Lebert, diverse Bücher veröffentlicht. Andreas, der Sohn (geb. 1955), hat für den Stern und DIE ZEIT geschrieben, gründete das Magazin der Süddeutschen Zeitung und war viele Jahr lang Chefredakteur von Brigitte (wo er u.a. die Phase „ohne Models“ verantwortete). Heute leitet er das Magazin ZEIT-WISSEN. Benjamin, Andreas Leberts Sohn, hat die Schule geschmissen und als 17-Jähriger mit „Crazy“ erstmal einen Bestseller verfasst. Inzwischen hat er seinen achten Roman veröffentlicht. Jetzt haben Benjamin und Andreas Lebert gemeinsam dieses Buch über das Verhältnis von Vater und Sohn verfasst – es ist eine faszinierende Reise zwischen den Generationen, ehrlich, packend, klug.

Über das Alter, die Liebe und die Lebensgier
Und noch einmal die NZZ: Klara Obermüller (81) ist eine bekannte Schweizer Publizistin, Journalistin, Buchautorin und Fernsehmoderatorin. Michael Schilliger und Birgit Schmid haben mit ihr über Fragen gesprochen, die sich mit der Corona-Krise neu gestellt haben: Muss man alte Menschen schützen? Was lehrt die Pandemie über das Leben, wenn dieses dem Ende zugeht? Schon die Überschrift zeigt, dass Klara Obermüller nicht auf den Mund gefallen ist: „Ich habe kein Verständnis mehr dafür, wenn man jedem Kuhglocken schwingenden Innerschweizer nachrennt“ … Ein Gespräch, das sich übrigens bestens zum Vorlesen eignet – nicht nur unterm Tannenbaum.

24 Liebesgeschichten berühmter Menschen
Manchmal erfüllen sich Liebesgeschichten nicht zu Beginn oder mitten im Erwachsenenleben, sondern erst im Herbst oder Winter des Lebens. Solche Geschichten aus mehreren Jahrhunderten hat Roland Leonhardt zusammengetragen. Es sind die letzten Lieben, die gerade deshalb so besonders sind. Zwischen Hans Fallada und Ursula Losch zum Beispiel, Ossip Mandelstam und Nadeschda Jakowlewna, Friedrich Nietzsche und Lou Andreas-Salomé, Alban Berg und Hanna Fuchs, Rainer Maria Rilke und Marina Zwetajewa, Gottfried Benn und Else Lasker-Schüler, Curd Jürgens und Margie Schmitz, Erich Maria Remarque und Paulette Goddard … Ob bitter-süß oder heiter, traurig oder tragisch, erfüllend oder problemgeladen – auf jeden Fall: bewegend.
Roland Leonhardt: Liebende müssen wie neu sein. Letzte Liebe berühmter und ungewöhnlicher Menschen. Nünnerich-Asmus Verlag & Media, 216 Seiten, 22 Euro

Das Lebenswerk einer besonderen Frau
Marilyn Yalom (1932-2019) war eine bekannte amerikanische Kulturhistorikerin du Frauen-Forscherin, die hierzulande leider viel zu wenig Beachtung fand und findet. Deshalb sei hier mit drei ihrer Bücher aus dem btb Verlag an sie erinnert:

Das Herz (320 Seiten, 12 Euro) beschreibt die Kulturgeschichte dieses wichtigsten Organs, das für so vieles steht, was unser Leben ausmacht und bewegt. Marilyn Yalom schlägt den Bogen von der Antike bis heute. Und sie zeigt einmal mehr auf ihre Weise, dass das Herz alles andere ist als eine Pumpe.

Freundinnen (416 Seiten, 12 Euro) hat sie zusammen mit Theresa Donovan Brown geschrieben – es ist viel mehr als der Blick auf die besondere Qualität, die eine beste Freundin im Leben einer Frau hat. Denn Frauenfreundschaften (heute würde man vielleicht sagen: Frauen-Seilschaften) haben schon immer auch die Politik bestimmt und das gesellschaftliche Leben.

Die Unschuld der Opfer (288 Seiten, 12 Euro) ist ein Buch über die Lebensläufe von sechs im Zweiten Weltkrieg und im Nationalsozialismus geborenen Kindern. Es wurde zu Marilyn Yaloms Vermächtnis: „Wir sind die letzten Zeitzeugen, die den Zweiten Weltkrieg noch erlebt haben, und bald werden wir nicht mehr da sein. Dieses Buch möchte ich als ein Zeugnis und eine Mahnung hinterlassen, in der Hoffnung, dass diese Lebenswege uns die Sinnlosigkeit des Krieges vor Augen führen. Gerade jetzt, in den Zeiten des wiedererstarkenden Nationalismus und eskalierender Konflikte weltweit mögen uns diese Schicksale dazu bringen, uns zu fragen, ob auch unsere Kinder und Enkelkinder zu Opfern machthungriger Erwachsener werden.“

Der Alptraum einer jeden Mutter
DDR, 1973. Eine junge Frau gebiert ihr Kind. Es gibt Komplikationen. Als sie aus der Narkose wieder erwacht, heißt es, ihr Kind sei tot. Doch die Frau glaubt die Story nicht. Sie befürchtet vielmehr, ihre Tochter sei auf Anordnung der Regierung weggenommen und anderswo untergebracht worden. BRD, 1989. Gerade ist die Mauer gefallen, und eine 16-Jährige macht sich auf, ihre Mutter zu finden, die sie angeblich nach der Geburt weggegeben hat. Dieser Roman ist zwar frei erfunden. Aber er hätte sich auch genau so zutragen können.
Frank Goldammer: Zwei fremde Leben. dtv Premium, 396 Seiten, 16,90 Euro

Belastete Ware
Bevor Sie das nächste Mal mitten im Winter Rosen kaufen, sollten Sie dieses Buch gelesen haben. Es schildert, wie diese Blumen im kenianischen Hinterland auf großen Farmen gezüchtet werden, unter Einsatz von giftigen Pflanzenschutzmitteln. Bevor Sie das nächste Mal Billig-Unterhosen beim Discounter kaufen, sollten Sie dieses Buch gelesen haben. Es schildert, wie am Stadtrand von Kalkutta Bengalen ohne jede Schutzkleidung diese Baumwollstoffe färben – mit giftigen Substanzen. Wenn Sie die in diesem Buch versammelten zehn Reportagen gelesen haben, werden Sie anders einkaufen.
Jan Stremmel: Drecksarbeit.Geschichten aus dem Maschinenraum unseres bequemen Lebens. Knesebeck Verlag, 192 Seiten, 22 Euro

Eine Familie in Südafrika
Es gibt wenige Länder auf der Erde, die innerhalb von dreißig Jahren so viele Umbrüche erlebt haben wie Südafrika. Dieser Roman einer Familie erzählt auf packende Weise von der Zeit zwischen Apartheid und Demokratie, vom Zerfall gewachsener Traditionen, aber auch vom Entstehen neuer Bindungen und Perspektiven. Kein Wunder, dass das Buch den begehrten Booker Prize 2021 gewonnen hat.
Damon Dalgut: Das Versprechen. Luchterhand Verlag, 368 Seiten, 24 Euro

Neues von Jamie und Claire
Ganze sieben Jahre hat es gedauert, bis Diana Gabaldon jetzt endlich die Fortsetzung der Outlander-Saga vorgelegt hat. Band 9 umfasst sagenhafte 1.152 Seiten und erzählt ebenso spannend wie dramatisch die Geschichte von Jamie Fraser und Claire Randall und ihrer weit verzweigten Familie (gut, dass auf den Innenseiten der verschlungene Stammbaum aufgezeichnet ist, sonst würde man sich kaum noch zurechtfinden …). Ein Wälzer, wie geschaffen für lange, faule Wintertage, an denen man nicht viel denken, aber gut unterhalten sein möchte.
Diana Gabaldon: Outlander – Das Schwärmen von tausend Bienen. Droemer Knaur Verlag, 1.152 Seiten, 28 Euro

Ein Hoch auf die Pizza!
Das ist doch mal ein Lichtblick: Wenn Sie keine Plätzchen mehr sehen können, genug haben von Karpfen und Gans, dann gibt es nur eines: Pizza! Und Sie können dafür auch noch die beste Begründung der Welt anführen: Wer häufig Pizza isst, hat ein geringeres Krebsrisiko! Das zeigte schon 2003 eine wissenschaftliche Studie aus … natürlich: Italien. Logisch, dass Sie dafür nicht den Pizza-Service bemühen, sondern die knusprigen Fladen aus Mehl, Wasser, Öl und ein bisschen Hefe (schnell noch auf die Einkaufsliste setzen!) einfach selbst herstellen und belegen – dann schmecken sie eh am besten. Wie kinderleicht das ist, zeigt ein Buch, das der „Brot-Papst“ Lutz Geißler verfasst hat – er weiß, wie’s todsicher gelingt und zeigt Ihnen das Bild für Bild auf anschaulichste Art und Weise. Ganz nebenbei lernen sie dann auch gleich noch, wie man einen Sauerteig ansetzt und wie man Focaccia und Pita und Fladenbrot und Sangak und Gözleme backt. Kennen Sie nicht? Sollten Sie aber!
Lutz Geißler und Alexander Englert: Die besten Fladenbrote der Welt. Becker Joest Volk Verlag, 304 Seiten, 220 Fotos, 29,95 Euro

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