Normalerweise ist die Arzneimittelgesetzgebung kein Thema, das ethisch kontrovers diskutiert wird. Ganz anders jedoch in diesem Jahr: In den vergangenen Monaten wurde von Gesundheitspolitikern und Ethik-Experten sehr engagiert über den „Entwurf eines Vierten Gesetzes zur Änderung arzneimittelrechtlicher und anderer Vorschriften“ debattiert. Vor allem ging es dabei um die umstrittene Frage der „gruppennützigen Forschung“ an nicht-einwilligungsfähigen Patienten, die laut Entwurf zukünftig in engen Grenzen erlaubt sein soll: Die Arzneimittelforschung soll an Menschen, die aufgrund ihrer Erkrankung nicht mehr einwilligen können, möglich sein, auch wenn die Betroffenen davon keinen eigenen Nutzen (mehr) haben. Mit diesem Vorhaben soll deutsches Recht an die Vorgaben einer EU-Verordnung angepasst werden.

Die Pläne riefen starken Widerstand hervor. In der Folge wurden drei (fraktionsübergreifende) Änderungsanträge vorgelegt, um die geplante Regelung zu kippen und Menschen, die zum Beispiel an Demenz leiden, besonders zu schützen. Mitte November fanden dann die mit Spannung erwarteten Abstimmungen im Bundestag statt. Das Ergebnis: Dem ursprünglichen Vorschlag wurde in einer modifizierten Form zugestimmt: Unter der Voraussetzung, dass die Probanden zu einem Zeitpunkt, als sie noch im Vollbesitz ihrer geistigen Kräfte waren, nach ärztlicher Aufklärung eine entsprechende Verfügung verfasst haben, soll die so genannte „gruppennützige“ Forschung an nicht-einwilligungsfähigen Erwachsenen zukünftig erlaubt sein.

„Der Bundestag hat sich diese Entscheidung nicht leicht gemacht. Es ist ein gutes Zeichen für unsere Gesellschaft, dass wir diese ethisch brisante Frage offen diskutieren“, kommentiert Stefan Schmidt-Troschke von GESUNDHEIT AKTIV. „Der Mensch darf natürlich nie Mittel zum Zweck sein, das hat schon Kant formuliert. Trotzdem muss man auch ganz nüchtern feststellen, dass in der Praxis bereits an nicht-einwilligungsfähigen Menschen medizinisch oder pharmazeutisch geforscht wird – zum Beispiel an Kindern und an Menschen mit geistiger Behinderung. Auch wenn man sich nach der Diskussion über die Forschung an Demenzkranken auf die rechtlichen Voraussetzungen geeinigt hat, so bleibt das Gesetz ethisch höchst problematisch."  

Quelle: „Forschung an Nichteinwilligungsfähigen: Grundsatzdebatte über Studien“, Deutsches Ärzteblatt online, 20. Oktober 2016

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