In Deutschland geht jeder fünfte gesetzlich Versicherte mindestens einmal im Jahr wegen Rückenschmerzen zum Arzt, viele sogar mehrere Male. Pro Jahr kommen damit über 38 Millionen Arztbesuche wegen Rückenschmerzen zusammen. Darauf folgen meist bildgebende Untersuchungen, wie Röntgen, Computer- (CT) und Magnetresonanztomographie (MRT). Dass diese Untersuchungen oft unnötig sind, zeigt eine neue Studie der Bertelsmann Stiftung, die Ende November 2016 vorgestellt wurde.

Rückenschmerzen verursachen einen hohen Leidensdruck. Trotzdem gelten 85 Prozent der akuten Rückenschmerzen als medizinisch unkompliziert und nicht spezifisch. Dementsprechend wenig können die Ärzte oft ausrichten. Auch die Aussagefähigkeit von bildgebenden Untersuchungen wird in der Praxis oft überschätzt: Rund 70 Prozent der Patienten glauben, dass der Arzt dadurch die genaue Ursache des Schmerzes findet. Ein Trugschluss: Nur bei etwa 15 Prozent können Ärzte tatsächlich feststellen, woher das Leiden kommt. Dennoch machten die Ärzte allein im Jahr 2015 bei Rückenleiden über sechs Millionen Röntgen-, CT- und MRT-Aufnahmen. Dabei empfehlen ärztliche Leitlinien bei Rückenschmerzen ohne Hinweise auf gefährliche Verläufe, wie Wirbelbrüche oder Entzündungen keine bildgebende Untersuchung. Viele radiologische Untersuchungen wären also eigentlich vermeidbar.

Die Studienautoren machten klar, dass die Ergebnisse auf grundlegende Probleme verweisen. Die gründliche körperliche Untersuchung und das persönliche Gespräch zwischen Arzt und Patient müssten wieder mehr Gewicht erhalten, forderte die Bertelsmann Stiftung: „Dafür bedarf es Korrekturen im ärztlichen Vergütungssystem. So müssen beispielsweise Gespräche im Verhältnis zu technikbasierten Untersuchungen besser bezahlt werden.“ Internationale Beispiele zeigen überdies, dass es Möglichkeiten gibt, unnötige und gesundheitsschädliche Untersuchungen zu reduzieren: In Teilen Kanadas erhalten Ärzte seit 2012 keine Vergütung mehr, wenn sich herausstellt, dass Bildaufnahmen veranlasst wurden, obwohl kein gefährlicher Verlauf der Rückenschmerzen erkennbar war. In den Niederlanden wiederum setzt man auf striktere Zugangsbeschränkungen zu Röntgen-, CT- und MRT-Geräten.

„Dass technische Untersuchungen in der Medizin mehr gelten – und besser bezahlt werden – als das Gespräch zwischen Patient und Arzt, kritisieren wir schon lange“, ergänzt Stefan Schmidt-Troschke von GESUNDHEIT AKTIV. „Die vorliegende Studie zeigt anhand von empirisch gut fundierten Daten, wie problematisch diese Entwicklung in der Praxis geworden ist – und wie viele Millionen es uns jährlich kostet, unnötige Untersuchungen zu bezahlen. Dieses Geld wird an anderer Stelle, zum Beispiel bei Prävention und Gesundheitsförderung, dringend gebraucht!“

Quelle: „Volksleiden Rückenschmerzen: Viele Arztbesuche und Untersuchungen sind überflüssig“

Weitere Informationen:
Wie werden Patienten mit Rückenschmerzen in Ihrer Heimatregion versorgt? Interaktives Kartentool der Bertelsmann Stiftung
Der Arzt Eckart von Hirschhausen gibt Patienten in einem kurzen Video "Faktencheck Gesundheit - weniger ist mehr" Tipps, was man beim Arztbesuch beachten sollte.

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