15. Januar 2023 - Das Gesundheits- und Sozialsystem in Deutschland ist weitverzweigt und in Teilen unübersichtlich. Patient:innen wissen oft nicht, wo sie welche Leistungen erhalten können oder nehmen sie nicht wirklich bedarfsgerecht in Anspruch. Dadurch entsteht vielfach eine Fehl-, beziehungsweise Unter-, oder auch Überversorgung. Grundsätzlich sollten Hausärzt:innen hier die Steuerung übernehmen, sind aber in der Regel mit den rein medizinischen Tätigkeiten bereits ausgelastet. Mit der zunehmenden Alterung der Gesellschaft und den daraus folgenden Mehrfacherkrankungen nimmt das Problem immer weiter zu. Hier können sogenannte Gesundheitslotsen wichtige Hilfe leisten. Sie führen ein gezieltes  individuelles Fallmanagement durch und übernehmen Steuerung und Koordination über die Sektorengrenzen hinweg. Sie begleiten die betreuten Personen unabhängig von den Versorgungsstrukturen entlang des gesamten Patientenwegs, unabhängig und im Interesse der Patient:innnen. Sie unterliegen nicht der ärztlichen Weisung und übernehmen auch nicht die medizinisch-pflegerischen Leistungen, sondern arbeiten im Netzwerk mit den verschiedenen Leistungserbringern. Sie bieten den Patient:innen  psychosoziale Unterstützung, überwinden sprachliche Barrieren und befähigen sie zu selbstbestimmtem und informiertem Handeln. Nicht zuletzt unterstützen sie dabei, die eigene Gesundheit zu managen und bürokratische Akte zu bewältigen.  Bisher sind die Auswertungen bereits bestehender Modellprojekte einhellig zu dem Ergebnis gekommen, dass dieses  „Case- und Care Management“ nicht nur zweckmäßig, sondern darüber hinaus auch wirtschaftlich ist, denn viele unnötige Leistungen können so vermieden werden, beziehungsweise viele Versorgungsangebote werden so deutlich zielgerichteter angenommen.

Dies hat die Politik eigentlich auch erkannt, im Koalitionsvertrag der amtierenden Regierung heißt es dazu: „Der Innovationsfond wird verstetigt. Für erfolgreiche geförderte Projekte, wie die der Patientenlotsen werden wir einen Pfad vorgeben, wie diese in die Regelversorgung überführt werden können.“ Bislang war von diesem Vorhaben allerdings noch nichts Nennenswertes zu hören. Daher hat der Bundesverband Managed Care (BMC) jetzt ein Konzeptpapier entwickelt  , „Gesundheitslotsen – Wegbegleiter für eine bessere Versorgung“ (link: https://www.bmcev.de/wp-content/uploads/2023-01-12-BMC-Positionspapier-Gesundheitslotsen.pdf ). Darin wird nochmal klar der Weg hin zu einem Lotsensystem und den damit verbundenen Verbesserungen skizziert, denn mehrere medizinische Fachgesellschaften, Krankenkassen und Universitätskliniken haben sich längst für eine Überführung solcher Angebote in die Regelversorgung ausgesprochen.

Kommentar GESUNDHEIT AKTIV:

So inhaltlich folgerichtig und plausibel der Vorschlag des BMC ist, die Lotsenfunktion im Gesundheitswesen zusätzlich an die Seite von Ärztinnen und Ärzten zu stellen, so sehr offenbart dieser Ansatz, wie die ursprünglich ärztliche Rolle immer stärker in Funktionen aufgelöst wird. Waren es nicht einst der Hausärzte, an die man sich wenden konnte und die daher im englischen Sprachraum gerne auch als „Gatekeeper“ bezeichnet werden? Ja, diese Ärztinnen und Ärzte sollten das Versorgungssystem UND ihre Patientinnen und Patienten so kennen, dass sie ihnen bei der Orientierung adäquat helfen und die Folgeversorgung bis in die sozialen Bereiche hinein weiter vermitteln können. Man wird den Eindruck nicht los, dass sich unser System immer weiter in Einzelfunktionen auflöst, da wo Überforderungen auftreten oder ohnehin bereits der Zerfall eingesetzt hat. Deutschland ist eines der wenigen Länder ohne ein Primärarztsystem, ein Land, in dem Menschen daran gewöhnt sind bei Bauchschmerzen zu einem Gastroenterologen und bei Herzbeschwerden zur Kardiologin zu gehen. Wäre es nicht sinnvoll, wenn Hausärztinnen und Hausärzte selber die Situation ihrer Patient:innen im Blick behalten könnten und aus der langjährigen Kenntnis ihrer sozialen Situation heraus adäquate Lösungen finden und bis in die Koordination hinein umsetzten könnten? Neue Strukturen und Funktionen bedeuten immer auch mehr Bürokratie, mehr Arbeit an den neuen Nahtstellen, mehr Aufwand für neue Berufsgruppen, die ein Eigenleben entwickeln. Hausarztpraxen sollten besser ausgestattet werden, um ihrer zentralen Aufgabe einer ganzheitlichen Versorgung gerecht zu werden.

zurück zur Übersicht

DOCH LIEBER ÜBERWEISEN?
Dann nutzen Sie unser
GESUNDHEIT AKTIV
Spendenkonto:
GLS Gemeinschaftsbank eG
IBAN DE34 4306 0967 0017 2179 00
BIC GENODEM1GLS