Was die neue FDA-Recherche über Macht, Medizin und Markt verrät
November 2025: Eine aktuelle, umfassende Untersuchung der US-Plattform The Lever gemeinsam mit dem McGraw Center for Business Journalism deckt ein erschütterndes Bild auf: Die amerikanische Arzneimittelbehörde FDA hat in den vergangenen Jahren Hunderte Medikamente zugelassen, ohne dass deren Wirksamkeit ausreichend belegt war – darunter zahlreiche Krebsmittel mit massiven Nebenwirkungen.
Diese Enthüllung ist mehr als ein amerikanisches Problem. Sie zeigt, wie ökonomische Macht, politische Interessen und medizinische Regulierung in einem System verstrickt sind, das Gesundheit zur Ware macht – und das auch in Europa zunehmend unter Druck steht.
Im Zentrum der Recherche steht das Medikament Elmiron, ein Mittel gegen Blasenschmerzen, das über Jahrzehnte millionenfach verschrieben wurde. Erst Jahre nach der Zulassung wurde klar, dass es Erblindungen verursachen kann, während sich gleichzeitig herausstellte: Elmiron wirkt gar nicht.
Trotz dieser Erkenntnisse blieb das Medikament fast drei Jahrzehnte auf dem Markt. Die FDA handelte nicht. Dieses Beispiel steht symbolisch für eine Behörde, die ihre ursprüngliche Schutzfunktion zugunsten industrieller Interessen verloren hat.
Laut der Untersuchung wurden zwischen 2013 und 2022 rund 429 neue Medikamente von der FDA zugelassen.
Davon:
- erfüllten 73 % nicht die grundlegenden wissenschaftlichen Standards,
- basierten über die Hälfte auf bloß vorläufigen Daten,
- und fast ein Viertel der Krebsmedikamente wurden ganz ohne belastbare Nachweise für längeres Überleben oder bessere Lebensqualität genehmigt.
Das zeigt eine systematische Erosion wissenschaftlicher Maßstäbe – beschleunigt durch politische Deregulierung und den Einfluss einer Branche, deren Gewinne direkt an die Geschwindigkeit der Zulassung gekoppelt sind.
Der Milliardenmarkt dahinter
Die Dimension des Problems wird klar, wenn man das wirtschaftliche Ausmaß betrachtet:
Der globale Pharmamarkt liegt heute bei rund 1,6 Billionen US-Dollar jährlich, Tendenz steigend. Allein in den USA beträgt der Jahresumsatz etwa 800 Milliarden Dollar.
In diesem Umfeld entscheidet die Frage, wer ein Medikament zulässt und wie streng geprüft wird, über Milliarden.
Wenn Studien verzögert oder „flexibel“ interpretiert werden, profitieren Unternehmen – nicht Patientinnen und Patienten. Dass sich also politischer und medialer Widerstand gegen Reformversuche regt, ist kaum verwunderlich.
Der US-Gesundheitsminister Robert F. Kennedy Jr. hat angekündigt, diese Verflechtungen zwischen Industrie und Regulierungsbehörden grundlegend aufbrechen zu wollen.
Er fordert:
- eine unabhängige Finanzierung der FDA,
- vollständige Transparenz bei Studiendaten,
- und das Ende der Industriegebühren, die die Behörde faktisch mitfinanzieren.
Diese Positionen treffen den Nerv des Systems – und damit mächtige Interessen. Der heftige Widerstand gegen Kennedy speist sich also vermutlich auch aus der Sorge, dass eine echte Entflechtung zwischen Behörde und Industrie Milliardengeschäfte gefährden könnte.
Jedoch ganz unabhängig davon, wie man Kennedy politisch bewertet: Seine Kritik benennt ein strukturelles Problem, das weit über die USA hinausreicht.
In Europa wacht die Europäische Arzneimittelagentur (EMA) über neue Medikamente, in Deutschland das BfArM. Formell gelten hier strengere wissenschaftliche Regeln: Nachweise müssen transparent und vollständig sein, Nachfolgestudien sind verpflichtend. Besonders das deutsche AMNOG-Verfahren zwingt Hersteller, nach der Zulassung den tatsächlichen Zusatznutzen eines Medikaments zu belegen – sonst drohen Preisabschläge.
Doch auch in der EU wächst der Druck, Verfahren zu beschleunigen und Nachweise zu „vereinfachen“. Der Trend zur Deregulierung ist also längst nicht nur ein US-Phänomen.
Gesundheit als Gemeingut – nicht als Geschäftsmodell
Die US-Erfahrungen sind ein Warnsignal. Wenn wissenschaftliche Sorgfalt durch Marktdynamik ersetzt wird, verliert Medizin ihren ethischen Kern.
Für Europa und Deutschland sollte das heißen:
- Unabhängige Behördenfinanzierung statt Industriegelder,
- verbindliche Transparenzpflichten für alle Studien,
- klare Konsequenzen, wenn Wirksamkeit nicht belegt wird,
- und eine politische Kultur, die Gesundheit als Gemeingut versteht – nicht als Wachstumsfeld.
GESUNDHEIT AKTIV meint dazu:
Was in den USA sichtbar wird, betrifft auch uns:
Das Vertrauen in die Medizin hängt davon ab, dass wissenschaftliche Belege unabhängig, nachvollziehbar und menschenorientiert sind.
Integrative Medizin steht dabei nicht im Gegensatz zur Evidenz – sie erweitert sie.
Sie erinnert daran, dass Gesundheit mehr ist als biochemische Wirksamkeit, und dass der Mensch kein Marktobjekt ist, sondern ein fühlendes, erfahrendes Wesen.
Die Frage lautet also nicht: Wie viel Kontrolle brauchen wir?
Sondern: Wie viel Menschlichkeit dürfen wir uns noch leisten – in einem System, das längst ökonomisch programmiert ist?
P.S.: Elmiron in Europa und Deutschland
In der Europäischen Union ist Elmiron® (Wirkstoff: Natrium-Pentosanpolysulfat) seit 2017 von der European Medicines Agency (EMA) zur Behandlung des sogenannten Blasenschmerzsyndroms (Interstitial Cystitis) zugelassen – und die Zulassung ist weiterhin aktiv.
In Deutschland wurde der Vertrieb zum 1. Januar 2021 eingestellt, allerdings nicht wegen Sicherheits- oder Qualitätsbedenken, sondern aus wirtschaftlichen Gründen des Herstellers. Das Medikament bleibt jedoch verschreibungsfähig: Ärztinnen und Ärzte können es weiterhin verordnen, und Patient:innen können es über Einzelimporte aus anderen EU-Ländern beziehen (§ 73 Abs. 1 AMG).
Krankenkassen übernehmen in vielen Fällen die Kosten, wenn eine ärztliche Verordnung vorliegt. Damit bleibt Elmiron® in Europa formal verfügbar – auch wenn die medizinische Debatte um Nutzen und Risiken weitergeht.
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