Nun liegt sie also auf dem Tisch, die die Empfehlung der Kommission zur Reform der Krankenhausversorgung in Deutschland.

Bundesgesundheitsminister Lauterbach hatte die Kommission eingesetzt, als ein Organ, was unabhängig von den jeweils eigenen Interessen Vorschläge zu einer Überwindung der Versorgungskrise ausarbeiten sollte. Pikanterweise waren – bisher unüblich für die Vorbereitung größerer Reformvorhaben im Gesundheitswesen - die Organe der Selbstverwaltung (Ärzt:innen, Krankenkassen, Krankenhäuser) nicht eingebunden. Auch die Patient:innen hatten keine Stimme im Gremium. Lauterbach hatte immer wieder betont, es gehe ihm um ein strikt „evidenzbasiertes“ Vorgehen.

Das Anliegen ist wichtig, es ist dringend. Das bisherige System hat zu massiven Fehlanreizen geführt. Am Beispiel der Kinderkliniken kann dies verdeutlicht werden: Die Bettenanzahl in den Kliniken betrug Anfang der 90er Jahre noch 31.000 und liegt heute bei 18.000, die Anzahl der Kinderkliniken bzw. Kinderabteilungen hat sich im gleichen Zeitraum um 100 verringert auf heute 334. Wesentlicher Grund: Das sogenannte Fallpauschalensystem - Krankenhäuser finanzieren sich über Leistungspauschalen und stehen dabei im Wettbewerb zueinander.  Kinderabteilungen sind aber sehr personalintensiv und die Leistungen dafür in den Kliniken werden vergleichsweise schlecht vergütet. Zunächst sind all dies nur blanke Zahlen. Faktisch aber bedeutet es, dass viele Kliniken in Ballungsräumen keine Kinder mehr aufnehmen können. Betten für die Intensivbehandlung von Kindern sind in vielen Regionen derzeit nicht vorhanden.

Zentraler Bestandteil des jetzigen Vorschlages ist es, die Krankenhäuser – je nach Versorgungsstufe unterschiedlich – durch sogenannte Vorhaltepauschalen abzusichern. Im Gegenzug soll die Finanzierung über Fallpauschalen ihrem Anteil nach deutlich abgesenkt werden. Die Hauptidee dabei war es, die Versorgung in den Kliniken vom ökonomischen Druck zu entkoppeln, den sie derzeit weitergeben an Pflegende, Therapeuten und Ärzte. Denn die Konsequenz daraus: Ein massiver Mangel an qualifizierten Mitarbeiter:innen in der Pflege und im Bereich des ärztlichen Dienstes.

Kern der vorgeschlagenen Reform ist die Schaffung von zwei neuen Kategorien, mit denen die gesamte deutsche Krankenhauslandschaft neu vermessen und damit auch vergütet werden soll. Demnach soll es künftig fünf Versorgungsstufen – sogenannte Level – geben, bei denen die erste die wichtigste wäre und bei der examinierte Pflegekräfte im Zentrum stünden. Definiert werden sollen zudem „Leistungsgruppen“, von denen es nach Vorstellung der Kommission insgesamt 128 geben und mit denen verhindert werden soll, dass Krankenhäuser Leistungen erbringen, für die sie personell oder strukturell nicht geeignet sind. Dritte wesentliche Säule des Kommissionsvorschlags: die Einführung von Vorhaltepauschalen, die in der Regel 40 Prozent des Budgets abdecken würden, in einigen Fällen sogar 60. Einberechnet wären dabei die Pflegepauschalen, die bereits in der letzten Legislaturperiode eingeführt wurden.

Gar keine Rolle würden die bisherigen Fallpauschalen mehr in den Häusern der elementaren Grundversorgung spielen, im sogenannten Level 1i, der integrierten ambulant-stationären Versorgung. Diesen Häusern käme, heißt es in der Empfehlung, eine „Schlüsselrolle“ zu. Sie „verbinden wohnortnah zumeist allgemeine und spezialisierte ambulante fachärztliche Leistungen mit Akutpflegebetten“, in denen Patient:innen zum Beispiel „zur Beobachtung und Basistherapie oder nach der Verlegung aus einem Haus der Regel-/Schwerpunkt- oder Maximalversorgung stationär überwacht und gepflegt werden“ könnten. Bei den Kliniken könne es sich auch um „regionale Gesundheitszentren mit ambulanten Behandlungsmöglichkeiten“ handeln, zwingend vorzuhalten seien aber Akutpflegebetten.

Die Leitung solcher Häuser könne auch durch qualifizierte Pflegefachpersonen erfolgen, heißt es im Gutachten. Zudem stünden die Häuser offen für niedergelassene Ärzt:innen, die dort ambulante Leistungen nach dem Einheitlichen Bewertungsmaßstab abrechnen können sollen. Die Vorschläge weisen in eine klare Richtung: die Stärkung der Rolle examinierter Pflegekräfte in der Primärversorgung und in der Fläche nach angloamerikanischen Vorbild. Dazu passt etwa auch der Plan Lauterbachs, den Berufszweig der Community Health Nurses zu etablieren. Auch die Einrichtung von Gesundheitskiosken, in denen vornehmlich nichtärztliches Personal für die Grundversorgung eingesetzt würde, weist in eine ähnliche Richtung. Ebenfalls zum Versorgungslevel 1 sollen Kliniken der Stufe 1n gehören. Sie verfügten über eine Notaufnahme und hätten einen Sicherstellungsauftrag für die stationäre internistische und chirurgische Basisversorgung, wie es in der Empfehlung heißt.

In Level 2 würden Häuser zusammengefasst, die mindestens drei internistische (darunter zwingend eine Kardiologie) und drei chirurgische Leistungsgruppen umfassen, außerdem weitere definierte Leistungsbereiche, etwa im Bereich der Gynäkologie und Geburtshilfe. In den nicht-universitären Häusern des Levels 3 stiegen die Anforderungen an die Zahl der vorzuhaltenden Leistungsbereiche, die universitären Häuser im Level 3U sollen unter anderem Aufgaben der überregionalen Koordination bieten müssen.

Kommentar GESUNDHEIT AKTIV:

Chapeau! Nach langen Jahren des Herumschraubens liegt hier ein Vorschlag auf dem Tisch, der das Zeug hat, die Versorgung stärker an den Bedürfnissen der Menschen und weniger an den Shareholder-Interessen von Klinikkonzernen auszurichten. Es ist richtig, dass der Bund Rahmenbedingungen vorgibt für die Krankenhausplanung und -Finanzierung. Nach derzeitiger Rechtslage allerdings dürfen die Vorschläge nur schwer durchzusetzen sein, weil die das Planungsrecht der Länder durchkreuzen. Hier zeigt sich denn auch – wie sollte es anders sein – der erste Widerstand, insbesondere aus Bayern und Baden-Württemberg. Der Vorschlag stellt viele der gegenwärtigen Grundsätze auf den Kopf: Ambulant tätige Ärzt:innen sollen in den Krankenhäusern der Grundversorgung ihre Leistungen anbieten können (bei gleichen Abrechnungsbedingungen), die Grundversorgung könnte auf diese Weise endlich besser verzahnt werden; Fachabteilungen in den Krankenhäusern würden an Relevanz verlieren; die Länder müssten die Vorhaltepauschalen aufbringen und müssten so endlich ihrer Verpflichtung nachkommen, eine ausreichende Investitionsfinanzierung der Krankenhäuser zur gewährleisten. Also: ein mutiger Vorschlag, der hoffentlich nicht – wie zu erwarten – bis zur Unkenntlichkeit verändert wird auf dem Weg zu seiner Verwirklichung.

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